Falaysia Bd 2 - Trachonien
suchten, und nahm es mit etwas zittrigen Fingern heraus.
„Drück uns die Daumen“, bat sie Benjamin, bevor sie es endlich aufschlug. Da war sie, die feine, schön geschwungene Schrift ihrer Mutter.
Für meine geliebten Töchter , stand auf der ersten Seite geschrieben und Melinas Kehle verengte sich sofort. Erinnert euch. Vergesst nie und seid auf der Hut.
„Und?“ erinnerte ihr Neffe sie daran, dass sie nicht allein war. „Ist es das Buch?“
Sie schlug die nächste Seite auf und nickte dann. „Es sieht ganz danach aus.“ Sie blätterte ein wenig darin herum. „Sie hat sogar versucht, es alphabetisch zu gestalten.“
Ganz von selbst begann sie nach den Worten zu suchen, deren Bedeutung sie momentan besonders interessierte, und wurde schnell fündig.
„ Garong bedeutet so etwas wie Wachhabender , Aufpasser “, sagte sie zu Benjamin, der sofort nachdenklich die Stirn runzelte.
„Und Taleron ?“ erkundigte er sich.
Sie blätterte weiter. „Hier. Das heißt Jäger .“
Sie sah ihren Neffen wieder an, der dieses Mal eher geschockt als neugierig aussah. Und er hatte Recht. Dieses Wort klang gar nicht gut. Eher so, als hätte ihre Mutter allen Grund dazu gehabt, sich ihr Leben lang verfolgt zu fühlen. Wenn es diese beiden Gruppen wirklich gab, dann war es auch möglich, dass sie hinter ihr und ihrer Familie her gewesen waren. Bloß – warum?
Ein paar Atemzüge lang sagte keiner von ihnen ein Wort. Dann räusperte sich Benjamin. „Meinst… meinst du unter den Zeichnungen sind noch ein paar mehr Informationen über diese Leute zu finden?“ fragte er mit hörbarem Unbehagen in der Stimme.
„Gut möglich“, überlegte Melina und zog die Zeichnungen wieder zu sich heran. „Es wird allerdings eine Weile dauern, das zu entziffern und zu übersetzen. Und es ist schon spät.“
Sie sah hinüber zu einem der Fenster, durch welches das gedämpfte Abendlicht fiel. „Dein Vater wird sich bestimmt schon wundern, wo du so lange bleibst.“
„Ich hab gesagt, ich bin bei einem Freund“, erklärte der Junge. „Aber du hast Recht. Sehr viel länger sollte ich nicht wegbleiben. Sonst schöpft er nachher doch noch Verdacht.“ Er erhob sich und Melina tat es ihm nach.
„Du kannst ja gucken, wie weit du allein kommst“, setzte er hinzu. „Und ich kümmere mich heute noch darum, mehr über die Fotos dieser Familie herauszufinden. Ansonsten bin ich morgen wieder um dieselbe Zeit da und wir können uns gemeinsam an die Planung des Wochenendes und die Übersetzung machen. Ich bin nämlich ziemlich gut, was fremde Sprachen angeht.“
Sie lächelte sanft. „Dann freu ich mich, dich morgen wieder zu sehen.“
Für ein paar Sekunden standen sie ziemlich unbeholfen voreinander. Melina verspürte erneut das drängende Bedürfnis den Jungen in die Arme zu schließen und ihn kurz zu drücken, doch sie wagte es immer noch nicht. Sie hatte zu große Angst vor seiner Reaktion. Also lächelte sie nur, als er ihr noch einmal kurz zunickte und sich dann auf den Weg hinaus aus ihrer Wohnung machte.
Stille kehrte ein. Eine belastende Stille. Die Zukunft sah mit dem heutigen Tag nicht viel besser aus als zuvor. Sie hatten zwar endlich eine Spur gefunden, eine Möglichkeit herauszufinden, was hinter dem Spiel und Demeons Vorgehen steckte. Melina wusste jedoch nun auch, dass die ganze Sache sehr viel größer war und ihre Familie tiefer darin verstrickt war, als sie jemals geahnt hätte. Und sie schien auch gefährlicher, als sie vermutet hatte. Alles sprach eigentlich dagegen, Benjamin noch weiter an der Sache mitwirken zu lassen, ihn aktiv zu beteiligen. Allerdings wusste sie auch, dass es unmöglich war, ihn jetzt noch aus allem herauszuhalten, nicht nachdem er so viel erfahren hatte, wusste, dass das alles auch seine Familie anging. Sie hatte es in seinen Augen gelesen: Er würde sich nicht mehr abschütteln lassen. Alles, was sie jetzt noch tun konnte, war, ihn mit allen Mitteln und aller Macht, die sie besaß, zu beschützen. Ihm durfte auf keinen Fall etwas zustoßen. Das war sie nicht nur ihm, sondern auch seiner Familie und vor allen Dingen Jenna schuldig.
Trachonien
V erzweifelt
M an konnte nicht ohne Ende weinen. Irgendwann gab der Körper keine Flüssigkeit mehr her und alles, was einem übrig blieb, war diese entsetzlich jämmerlichen, trockenen Schluchzer auszustoßen, die mehr peinlich als Mitleid
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