Falken: Roman (German Edition)
Tritt bekommen hat.
Gardiner lachte. »Sehen Sie. Ich weiß Dinge über Ihr Leben, die Sie selbst nicht wissen.«
Es ist spät. Er wird mit seiner Arbeit aufhören, in sein Zimmer gehen und lesen. Vor ihm liegt die Bestandsliste des Klosters in Worcester. Seine Männer sind gründlich: Alles ist aufgeführt, von einer Feuerkugel zum Händewärmen bis zu einem Mörser, um Knoblauch zu zerstoßen. Und ein Messgewand aus schillerndem Satin, ein Chorhemd aus Goldstoff und ein aus schwarzer Seide geschnittenes Lamm Gottes, ein Elfenbeinkamm, eine Messinglampe, drei Lederflaschen und eine Sense. Psalmenbücher, Gesangsbücher, sechs Fuchsnetze mit Glocken, zwei Schubkarren, verschiedene Schaufeln und Spaten, einige Reliquien der heiligen Ursula und ihrer elftausend Jungfrauen, der Bischofshut des heiligen Oswald und ein Stapel Böcke und Tischplatten.
Das sind die Geräusche in Austin Friars im Herbst 1535: der Gesang von Kindern, die eine Motette einüben, abbrechen und neu anfangen. Die Stimmen dieser Kinder, kleiner Jungen, die sich laut auf der Treppe Dinge zurufen, und näher: das Kratzen von Hundepfoten auf Holzdielen. Das Klirren von Goldstücken in einer Truhe. Mehrsprachiges Flüstern, von Wandteppichen gedämpft. Das Wispern von Tinte auf Papier, und hinter den Wänden die Geräusche der City: die sich an seinem Tor drängende Menge, dazu ferne Rufe vom Fluss. Sein innerer Monolog, der immer weitergeht, mit sanfter Stimme: In öffentlichen Räumen denkt er an den Kardinal und seine Schritte, die durch vornehme, gewölbte Gemächer hallten. In seinen persönlichen Räumen denkt er an seine Frau Elizabeth. Ihr Bild ist unscharf, ein hinter der nächsten Ecke verschwindender Wirbel Röcke. An jenem letzten Morgen ihres Lebens glaubte er beim Verlassen des Hauses zu sehen, wie sie ihm folgte, fing das weiße Aufleuchten ihrer Haube auf. Er drehte sich um und sagte zu ihr: »Geh wieder zu Bett«, aber da war niemand. Als er abends zurück nach Hause kam, war ihr Mund zugebunden, und neben Kopf und Füßen standen Kerzen.
Nur ein Jahr später starben seine Mädchen aus demselben Grund. In seinem Haus in Stepney bewahrt er in einer verschlossenen Schachtel ihre Halsketten aus Perlen und Korallen auf, dazu Annes Buch mit ihren Lateinübungen. Und im Vorratsraum, wo sie ihre Theaterkostüme für Weihnachten aufbewahrten, hat er noch die Flügel aus Pfauenfedern, die Grace bei der Aufführung eines Stücks in der Gemeinde trug. Nach dem Stück ging sie nach oben, die Flügel immer noch auf dem Rücken. Reif glitzerte auf dem Fenster. Ich gehe beten, sagte sie und wandte sich ab. In ihre Federn gehüllt, verschwand sie im Dämmerlicht.
Die Nacht senkt sich über Austin Friars. Riegel werden geschlossen, Schlüssel klacken in Schlössern, er hört das Rasseln der schweren Kette und wie der große Balken vors Tor gelegt wird. Der junge Dick Purser lässt die Wachhunde heraus. Sie springen, rennen und schnappen nach dem Mondlicht. Sie legen sich unter die Obstbäume, die Köpfe auf den Pfoten, und spitzen die zuckenden Ohren. Wenn es still wird im Haus – wenn es still wird in allen Häusern –, laufen die Toten über die Treppen.
Anne, die Königin, ruft ihn nach dem Abendessen zu sich in ihr Gemach. Es ist nur ein Schritt für ihn, da in jedem wichtigen Palast Räume nahe bei denen des Königs für ihn reserviert sind. Über die Treppe, und dort, mit dem Licht der Wandleuchte auf der goldenen Bordüre, sieht er das steife neue Wams von Mark Smeaton. Mark selbst steckt darin.
Was treibt Mark hierher? Er ist ohne Instrument und ohne Entschuldigung und so prachtvoll ausgestattet wie die jungen Lords, die Anne bedienen. Ist das gerecht?, fragt er sich. Mark tut nichts und ist doch jedes Mal, wenn ich ihn sehe, hübscher als zuvor. Und ich tue alles und werde jeden Tag grauer und fettbäuchiger.
Da es zwischen ihnen für gewöhnlich unangenehm wird, hat er vor, mit einem Nicken vorbeizugehen, aber Mark richtet sich auf und lächelt: »Lord Cromwell, wie geht es Ihnen?«
»Nein, nein«, sagt er. »Ich bin immer noch ein einfacher Master.«
»Das ist ein Fehler der Natur. Sie scheinen durch und durch ein Lord, und bestimmt wird der König bald schon etwas für Sie tun.«
»Vielleicht auch nicht. Er braucht mich im Unterhaus.«
»Dennoch«, murmelt der Junge, »es schiene ungnädig von ihm, wo doch andere für so viel weniger belohnt werden. Sagen Sie mir, ich höre, dass Sie Musikschüler in Ihrem Haus haben?«
Ein
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