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Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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funktionieren nicht auf die gleiche Weise. Das Buch schien ihm fast trivial, mit nichts als Abstraktionen – Tugend, Angst – und kleinen, besonderen Momenten unmoralischen Gebarens und dürftiger Berechnungen. Vielleicht könnte er es verbessern, doch er hat keine Zeit. Wenn so viel zu erledigen ist, kann er den Schreibern, die mit gezückter Feder dasitzen, nur ein paar Formeln zuwerfen: »Mit meinen herzlichen Empfehlungen … Ihr treuer Freund, Ihr liebender Freund, Ihr Freund Thomas Cromwell.« Der Posten des Sekretärs wird nicht mit Lohn vergütet. Der Rahmen seiner Aufgaben ist schlecht definiert, und das kommt ihm zupass. Während der Lordkanzler seine genau beschriebene Rolle hat, kann der persönliche Sekretär des Königs seine Nase in jedes Amt des Staates und jeden Bereich der Regierung stecken. Er bekommt Briefe aus allen Grafschaften, die ihn bitten, Streitigkeiten um Landbesitz zu schlichten oder der Sache eines ihm Fremden mit seinem Namen beizustehen. Menschen, die er nicht kennt, schicken ihm Klatsch über ihre Nachbarn, Mönche Aufstellungen mit abtrünnigen Aussagen ihrer Oberen, Priester durchleuchten die Äußerungen ihrer Bischöfe für ihn. Was immer sich im Reich tut, wird ihm ins Ohr geflüstert, und so vielfältig sind seine Aufgaben für die Krone, dass die großen, England betreffenden Belange, Pergamente und Dokumente, die auf Stempel und Siegel warten, auf seinem Tisch hin und her geschoben werden, zu ihm hin und von ihm weg. Seine Bittsteller schicken ihm Malmsey und Muskateller, Wallache, Wild und Gold, Zuwendungen und Zusicherungen, Glücksbringer und Beschwörungen. Sie wollen Gefälligkeiten und erwarten, dafür zu bezahlen. Das geht so, seit er die Gunst des Königs gefunden hat. Er ist reich.
    Und natürlich folgt darauf Neid. Seine Feinde graben aus seinem früheren Leben aus, was sie können. »Ich bin also hinunter nach Putney«, hat Gardiner gesagt. »Oder, um genau zu sein, ich habe einen Mann geschickt. Und in Putney heißt es, wer hätte gedacht, dass Er-macht-es-wieder-scharf einmal so hoch aufsteigen würde? Dass er längst aufgeknüpft worden wäre, hätten wir gedacht.«
    Sein Vater hat Messer geschärft, und die Leute grüßten ihn, den Sohn, auf der Straße: Tom, kannst du das nehmen und deinen Vater fragen, ob er es wieder hinbekommt? Und er nahm, was immer da stumpf geworden war: Geben Sie nur her, er macht es wieder scharf.
    »Es will gelernt sein«, erklärte er Gardiner, »eine Klinge zu schärfen.«
    »Sie haben Männer getötet. Das weiß ich.«
    »Nicht unter dieser Gerichtsbarkeit.«
    »Es zählt nicht, weil es im Ausland war?«
    »Kein Gericht in Europa würde einen Mann verurteilen, der aus Notwehr getötet hat.«
    »Aber fragen Sie sich auch, warum die Leute Sie umbringen wollen?«
    Darauf hatte er gelacht. »Nun, Stephen, vieles in diesem Leben ist ein Geheimnis, doch das ist ganz und gar keines. Ich war morgens immer als Erster auf den Beinen und abends der Letzte, der noch stand. Ich hatte immer Geld und bekam das Mädchen. Zeigen Sie mir einen Haufen, und ich liege oben drauf.«
    »Oder auf einer Hure«, murmelte Stephen.
    »Sie waren doch auch mal jung. Waren Sie mit Ihren Erkenntnissen beim König?«
    »Er sollte wissen, was für Menschen er anstellt.« Gardiner verstummte. Er, Cromwell, trat lächelnd auf ihn zu. »Machen Sie, was Sie wollen, Stephen. Schicken Sie Ihre Leute los. Geben Sie ihnen Geld in die Hand. Durchsuchen Sie ganz Europa. Sie werden nichts in Erfahrung bringen, von keiner Fähigkeit hören, mit der ich England nicht helfen kann.« Er zog ein imaginäres Messer aus der Jacke und stach es leicht und mühelos unter Gardiners Rippen. »Stephen, habe ich Sie nicht wieder und wieder gebeten, sich mit mir zu versöhnen? Und haben Sie nicht jedes Mal abgelehnt?«
    Es muss Gardiner zugutegehalten werden, dass er mit keiner Wimper zuckte. Allenfalls stellten sich ihm die Haare leicht auf, als er sich die Kleider zurechtzog und von der Luftklinge wegbewegte. »Der Bursche, dem Sie in Putney ein Messer in den Leib gestoßen haben, ist gestorben«, sagte er. »Sie haben gut daran getan zu fliehen, Cromwell. Seine Familie hatte schon eine Schlinge für Sie gebunden. Ihr Vater hat sie ausgezahlt.«
    Er staunte. »Was? Walter? Walter hat für mich bezahlt?«
    »Es war nicht viel. Sie hatten noch andere Kinder.«
    »Trotzdem.« Er war wie vor den Kopf geschlagen. Walter. Walter hat für ihn bezahlt. Walter, von dem er nie mehr als einen

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