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Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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Abend mit uns gegessen.«
    »Der mit Ihrer Nichte Johane verheiratet ist, Sir?«
    Der Junge schießt davon. Die kleinen Beine arbeiten wieder. Es ist sein Ziel, dass alle Waliser Englisch lernen, aber das geht noch nicht, und doch brauchen sie Gott an ihrer Seite. Banditen haben das Fürstentum in der Hand und befreien sich mit Schmiergeldern und Drohungen aus den Kerkern. Piraten verwüsten die Küsten. Die Gentlemen mit Landbesitz in Wales wie die königlichen Kammerherren Norris und Brereton scheinen gegen seine Interessen immun. Sie stellen ihre eigenen Belange vor den Frieden des Königs. Sie wollen sich nicht kontrollieren lassen. Das Recht ist ihnen egal: Während er ein gleiches Recht will, von Essex bis nach Anglesey, von Cornwall bis zur schottischen Grenze.
    Rice bringt eine kleine Samtschachtel mit, die er auf den Tisch legt: »Ein Geschenk. Sie müssen raten.«
    Er schüttelt sie. Es klingt wie geschrotetes Korn. Seine Finger erkunden die Bröckchen, schuppig, grau. Rice hat Abteien für ihn inspiziert. »Das sind doch nicht etwa die Zähne der heiligen Apollonia?«
    »Raten Sie noch einmal.«
    »Sind es die Zinken vom Kamm Maria Magdalenas?«
    Rice gibt nach. »Die Nagelspäne des heiligen Edmund.«
    »Ah, schütte sie zum Rest. Der Mann muss fünfhundert Finger gehabt haben.«
    Im Jahr 1257 starb ein Elefant im Tiergehege des Towers und wurde in einer Grube nahe der Kapelle begraben. Im nachfolgenden Jahr gruben sie ihn wieder aus, und die Überbleibsel wurden nach Westminster Abbey geschickt. Aber was sollten sie in Westminster Abbey mit einem Elefanten anfangen? Warum keine Tonne Reliquien daraus machen und die Tierknochen zu den Knochen von Heiligen werden lassen?
    Folgt man den Hütern heiliger Reliquien, besteht ein Teil der Macht dieser Artefakte darin, sich vervielfältigen zu können. Knochen, Holzstücke, Steine haben wie Tiere die Fähigkeit, sich zu vermehren und dennoch ihre unversehrte Natur zu bewahren: Die Nachkommenschaft ist den Originalen in keiner Weise unterlegen. So erblüht die Dornenkrone. Das Kreuz Christi bringt Knospen hervor, es wächst wie ein lebender Baum. Das nahtlose Gewand Christi webt Kopien seiner selbst. Fingernägel gebären Fingernägel.
    John ap Rice sagt: »Vernunft kommt gegen diese Leute nicht an. Wenn Sie versuchen, ihnen die Augen zu öffnen, treten Statuen der Jungfrau gegen Sie an, die Tränen aus Blut vergießen.«
    »Und dann heißt es, ich arbeite mit faulen Tricks!« Er sinniert. »John, Sie müssen sich hinsetzen und schreiben. Ihre Landsleute brauchen Gebete.«
    »Sie brauchen eine Bibel, Sir, in ihrer eigenen Sprache.«
    »Erst muss mir der König seinen Segen dafür zusichern, dass die Engländer ihre bekommen.« Das ist sein täglich betriebener, geheimer Kreuzzug: dass Henry eine große Bibel befürwortet, die in jeder Kirche ausliegt. Er ist seinem Ziel sehr nah und glaubt, er kann Henry dafür gewinnen. Sein Wunschtraum ist ein vereintes Land, mit einer gemeinsamen Währung, gemeinsamen Gewichten und Maßen und vor allem einer Sprache, die allen gehört. Du musst nicht nach Wales fahren, um missverstanden zu werden. Es gibt Orte in diesem Reich, keine fünfzig Meilen von London, wo du mit deiner Bitte, dir einen Hering zu kochen, nur leere Blicke erntest. Erst wenn du auf den Topf zeigst und einen Fisch mimst, sagen sie: Ah, jetzt verstehe ich, was du meinst.
    Sein größter Traum für England ist, dass sich der Fürst und sein Gemeinwesen im Einklang befinden. Er will nicht, dass das Königreich wie Walters Haus in Putney geführt wird, mit ständigen Streitereien und lautem Krachen und Schreien bei Tag und bei Nacht. Er will, dass es ein Haushalt ist, in dem jeder weiß, was er zu tun hat, und sich sicher fühlt. Er sagt zu Rice: »Stephen Gardiner meint, ich soll ein Buch schreiben. Was denken Sie? Vielleicht eines Tages, wenn ich mich zur Ruhe setze. Warum sollte ich meine Geheimnisse vorher preisgeben?«
    Er erinnert sich, Machiavellis Buch gelesen zu haben, ganz für sich in den dunklen Tagen nach dem Tod seiner Frau: jenes Buch, das gerade anfängt, so viel Staub in der Welt aufzuwirbeln, obwohl mehr darüber geredet wird, als dass die Leute es tatsächlich lesen. Er hatte in seinem Haus bleiben müssen, er, Rafe und der Kern des Haushalts, um kein Fieber in die Stadt zu tragen. Das Buch in Händen haltend, hatte er sich gesagt, du kannst keine Lehren aus italienischen Fürstentümern auf Wales und die Grenzen im Norden übertragen. Wir

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