Falkengrund Nr. 30
warum sie auf Seelenjagd gingen – all das blieb vorerst im Dunkeln.
Seit er sich in London aufhielt, beschäftigte er sich vor allem mit der eigenartigen Maschinerie, die er hinter den Schatten gesehen zu haben glaubte. Er hatte mit den Neukelten gesprochen, die ebenfalls Zeugen des Geschehens geworden waren. Einige von ihnen konnten seine Beobachtung bestätigen. Die gewaltige Wand des Schreckens , vor der die Schatten sich bewegt hatten, trug Merkmale eines technischen Konstrukts. Wurde das Tor ins Jenseits tatsächlich von einer gewaltigen Maschine aufgestoßen? Brachten die Schatten die Maschine dort zum Einsatz, wo Menschen mit dem Jenseits in Kontakt zu treten versuchten?
Die Stichworte „Maschine“ und „Jenseits“ führten ihn wie von selbst auf den Namen eines Mannes, dem er vor vielen Jahren einmal begegnet war. Eines Mannes, der Technik und Spiritismus auf einzigartige Weise unter einen Hut brachte. Sir Darren notierte den Namen als ständige Gedächtnisstütze und begann mit Nachforschungen über ihn. Auch auf andere Personen war er gestoßen, die möglicherweise Informationen für ihn bereithielten. Er würde sie nach und nach aufsuchen.
Es war Abend, und ein gleichförmiger Tag lag hinter ihm. Auch heute hatte er wieder in alten Schriften gewühlt und außerdem ein kurzes Gespräch mit einem Forscherkollegen geführt. Der Kollege war allerdings so sehr in seinem engen Weltbild gefangen, dass er Sir Darrens Erlebnis für das Resultat überreizter Nerven hielt. Ein Netz, mit dem Geister gefangen wurden, habe es nie gegeben und werde es nie geben, meinte er. Zuletzt warf er ihm vor, zu viel Zeit im Kino zu verbringen. Darren, der seit dreißig Jahren keinen Kinosaal mehr betreten hatte, erwiderte ein paar Dinge, die sicherstellten, dass sie sich nie wieder als Freude treffen würden.
Er hakte das Gespräch ab, während er in einem indischen Restaurant in Bayswater bei einem gepflegten Tandoori-Menü saß und Tasse für Tasse einer ebenso würzigen Assam-Mischung schlürfte. Demütig vor dem perfekt austarierten Geschmack schloss er Frieden mit der Welt. Möglicherweise hätte er vor kurzem selbst genauso reagiert wie der Spiritist, mit dem er heute diskutiert hatte. Auch Wissenschaftler waren Menschen und glaubten nur, was sie selbst gesehen hatten.
Oder gelesen.
Er schob den geleerten Teller eben von sich, als ein Mann ins Restaurant trat. Er hatte aschblondes, leicht zerzaustes Haar, trug ein nur teilweise zugeknöpftes Hemd und schien trotz des garstigen Februarwetters zu schwitzen. Er sah sich in der Gaststätte um, verstört, wie es schien. Dann entdeckte er Sir Darren und stürzte augenblicklich auf ihn zu.
„ My goodness! “, rief er. „Wie lange ist das her, altes Haus?“ Der Mann umarmte den Sitzenden ungeschickt und stürmisch.
Dieser versuchte sich dem Griff zu entwinden, achtete aber vor allem darauf, das Teekännchen weit von sich zu schieben, damit der gute Sud nicht umgestoßen wurde. „Tut mir leid“, blieb er höflich. „Ich kenne Sie nicht.“
Der Fremde dachte gar nicht daran, die Umarmung zu lockern. Im Gegenteil, er drückte ihn nur noch fester, als könne er den anderen mit purer Gewalt von seiner Aufrichtigkeit überzeugen. „Du erinnerst dich nicht mehr an mich? Komm schon, gib den grauen Zellen einen Ruck, oder ist das einer deiner Scherze?“
„Wenn Sie mich kennen würden“, sagte Sir Darren ruhig, ein tee-besänftigter Freund aller Schöpfung, „wüssten Sie, dass Scherze nicht meine Spezialität sind. Würden Sie mich jetzt loslassen, bitte?“
Einer der indischen Kellner, ein großer, breitschultriger Mann mit einem schwarzen, fleischigen Gesicht und glühenden Augen, näherte sich dem Tisch. „Bitte“, ächzte Sir Darren, dem die heftige Umarmung mittlerweile etwas die Luft abdrückte, „helfen Sie mir gegen diesen … Gentleman.“
Mit gemeinsamer Kraft lösten sie den Griff des Blonden. Während der Kellner den ungebetenen Gast in den Schwitzkasten nahm und nach draußen schob, zog sein Kollege ein Handy aus der Tasche und verständigte die Polizei.
„Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet.“ Sir Darren klopfte sich den Anzug ab und reckte sich. Die Umarmung des Wildfremden hatte einen leichten Schmerz in der Rückengegend hinterlassen, mehr einen Druck. Vermutlich hatte er sich bei seinen Befreiungsversuchen eine leichte Zerrung zugezogen. Das exzessive Herumsitzen in Bibliotheken hatte ihn steif werden lassen.
Als Minuten später die
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