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Falkengrund Nr. 30

Falkengrund Nr. 30

Titel: Falkengrund Nr. 30 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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ein, dass die Treppe nicht ganz so schmutzig war wie alles, was er bisher hier gesehen hatte – so, als wäre sie länger benutzt worden als der Flur im Erdgeschoss.
    Er stieg in den ersten Stock hinauf, an zwei winzigen Fenstern vorbei, die eine Aussicht auf ähnlich elende Häuser und Hinterhöfe boten. Ungläubig blieb er vor dem zweiten stehen und versuchte, ein Stück Rasen, einen Baum oder irgendein anderes Stück Pflanzenwachstum zu erkennen. Da war nichts. Auch keine Menschen, keine Tiere. Nicht einmal ein altes Fahrrad oder eine eingegangene Topfpflanze in einem der Fenster. Nur Ziegelmauern, kleine schmierige Fensterscheiben und schmuddelige Höfe unter einem grauen Himmel.
    Als er den Fuß auf die oberste Stufe setzte, vernahm er ein Geräusch. Auch hier gab es einen Flur, jenem im Erdgeschoss ähnlich und doch völlig anders, wie ein Zwillingsbruder, der auf den falschen Weg geraten war. Die Türen, die er von hier aus sehen konnte, standen allesamt offen, ohne einladend zu wirken.
    Und in einem der Zimmer schien sich jemand aufzuhalten. Ein Klacken war von dort zu hören, und schweres Atmen, nein, Stöhnen.
    Das Stöhnen einen Mannes, der Qualen erlitt.
    Etwas höchst Beunruhigendes schob sich in Sir Darrens Geist. Bilder einer Folterung. Visionen von einem Menschen, der bis aufs Blut gequält wurde. In diesen Mauern. Endlose Sekunden verharrte er auf der obersten Stufe und lauschte dem Stöhnen. Er sagte sich, dass es sich um einen Patienten handeln musste. Schließlich war dies hier eine Klinik.
    Gewesen , sprach die Stimme der Vernunft in ihm, leise, wie es einer solchen Umgebung angemessen war. Vielleicht vernahm er sie deswegen nicht.
    Er machte einen Schritt in den Gang hinein.
    Und schrie auf, als ihn etwas in die rechte Fußsohle stach. Die gerechte Strafe dafür, seinen Fuß in ein Territorium zu setzen, dessen Bedrohlichkeit man nur zu deutlich spüren konnte.
    In seine Augen traten Tränen. Er hob den Fuß an, um zu sehen, was in der Schuhsohle steckte. Es war eine Reißzwecke, doch sie hatte eine ungewöhnlich lange Spitze, wie er sah, als er sie herausgezogen hatte: beinahe drei Zentimeter lang. Wer stellte so etwas Widerliches her? Sie musste von der Wand gefallen sein, denn jetzt erkannte er, dass auch hier eines der Poster gehangen hatte. Wieder war es entfernt worden, doch diesmal war beim Abreißen einer der Nägel mit herausgefallen. Sir Darren verfluchte seine Unvorsichtigkeit und betrachtete den kleinen Gegenstand. Am Kopf hatte sich ein wenig Rost angesammelt.
    Der Schmerz ließ nach, und während er den Flur passierte, verwandelte sich sein Humpeln beinahe in ein normales Gehen zurück. Merkwürdigerweise beunruhigte ihn das winzige Loch, das er in seinem Schuh hatte. Er war nach unten hin verletzlich geworden. Was immer das bedeuten mochte.
    Als er sich dem Zimmer näherte, aus dem das Stöhnen kam, verlangsamte er seinen Gang. Dennoch kam die offene Tür viel zu schnell, um sich auf den Anblick vorzubereiten, der ihn erwartete. Das Zimmer wollte ihn.
    Exakt in der Zimmermitte stand ein Operationstisch. Er war aus messingartigem Metall, klobig, fast brutal, wirkte altertümlich und abgenutzt. Ein ungewöhnlich großer Körper lag auf dem Tisch, nahezu vollständig von grünlich-grauen Tüchern abgedeckt. Auch der Kopf war verborgen. Lediglich ein Quadrat von zwanzig auf zwanzig Zentimetern lag frei, auf Bauchhöhe des Mannes.
    Sir Darren hielt sich am Türrahmen fest. Der Bauch des Patienten war geöffnet. Muskelgewebe wurde von Spangen gehalten. Kirschfarben glänzten Innereien durch das handtellergroße Loch. Der Körper zitterte ein wenig und bäumte sich auf, doch offenbar wurde er von Riemen am Tisch fixiert und hatte nur wenig Spielraum. Das Tuch, das den Kopf des armen Kerls bedeckte, wölbte sich immer wieder an einer Stelle, im Takt des qualvollen Ächzens. Nicht einmal richtig atmen ließ man das Opfer.
    Rund um den Mann verstreut lag medizinisches Werkzeug in rauen Mengen auf dem Tisch, Sonden, Zangen, gebogene Scheren, Wundhaken, vollkommen bar jeder Ordnung. Vielleicht war es auch Schuhmacherwerkeug. Sir Darren glaubte dazwischen einen Dosenöffner zu erkennen, aber fraglos täuschte er sich. Elektrisches Gerät gab es kaum – ein blauer Kasten, der an eine Sauerstoffflasche angeschlossen war, stand unbenutzt in der Ecke und schwieg, als sei er entschlossen, das Oxygen für sich selbst zu behalten.
    Sir Darren war sich der Gefahr bewusst, in der auch er selbst

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