Falkengrund Nr. 34
aufsprang und sich den Schmutz von den Hosen klopfte. Er schlug seinen Block zu wie jemand, der etwas zu verbergen hat. Vielleicht war er auch einfach nur schüchtern, wie viele Hobbykünstler. „Trent Holburn“, stellte er sich vor. „Ich bin in letzter Zeit ab und an Gast hier.“
Natürlich war Sir Darren der Name nicht unbekannt. Holburn war der Mann, der Carnacki den Fall nahegebracht hatte. Bei seinem nächtlichen Stelldichein mit Lauren Draper war es zu einer Begegnung mit dem Geist Abernathys und dessen schaurigen Fischen gekommen. Holburn hatte das Gesicht des Geistes gezeichnet, welches sich auch auf den Fischen fand.
„Was ist mit Mr. Carnacki?“, wollte Sir Darren wissen. „Hält er sich noch in der Gegend auf? Oder hat er den Fall abgeschlossen?“
„Sie kennen ihn?“ Holburn zeigte sich überrascht.
„Ihn und den Fall. Ich habe Ihre Skizze des Spuks gesehen.“
„Wenn Sie ihn kennen, müssten Sie wissen, was geschehen ist“, meinte sein Gegenüber skeptisch.
„Ich war lange auf Reisen, hatte noch nicht einmal Gelegenheit, in seinem Haus in London vorbeizuschauen. Er … ist nicht mehr hier?“
„Das ist richtig. Und niemand weiß, wo er ist.“
„Er ist einfach verschwunden?“
„Nachdem er sich von der Sache im See erholt hatte, ging er weg, ja, und er hat niemandem gesagt, wohin.“ Auf Sir Darrens Nachfragen hin gab Holburn ihm einen Bericht von den Vorfällen. Er erzählte von dem riesigen Elektrischen Pentakel und seiner Wirkung, außerdem von dem Schatten, der plötzlich durch die Wassersäule hindurch vom Himmel gefallen war, und natürlich davon, dass der Geisterdetektiv beinahe ertrunken wäre. Sir Darren lauschte aufmerksam. Schließlich wies er auf den Zeichenblock und fragte: „Und was zeichnen Sie zurzeit?“
„Die Landschaft. Und das Gesicht der Frau. Es scheint mir, als hätte ich es irgendwo schon einmal gesehen. Aber ich komme nicht darauf, wo es war.“
„Welche Frau?“
„Die Frau auf dem Fisch“, antwortete Holburn. „Sehen Sie, als ich zum ersten Mal dem Spuk begegnete, hatten diese eigentümlichen Fische auf der Seite eine Zeichnung – das Gesicht eines Mannes. Sie behaupten ja, meine Version davon gesehen zu haben. Doch beim zweiten Mal, als wir mit Carnacki hinausfuhren, trugen die Fische eine andere Zeichnung – das Gesicht einer Frau. Es kam mir bekannt vor, deshalb prägte es sich so fest ein, dass ich es jetzt noch aus dem Gedächtnis skizzieren kann.“
Sir Darren wurde nervös. Dabei konnte es sich doch nur um Abernathys Partnerin beim – missglückten – Doppelselbstmord handeln! Also um Nelly Sawman!
Holburn blätterte in seinen Skizzen, zog ein Blatt heraus und hielt es ihm hin.
Sir Darren hielt den Atem an. Er kannte die Frau, die Holburn gezeichnet hatte. Es war Noreena Stryker, Carnackis Haushälterin!
Natürlich. Auch Holburn musste ihr einmal begegnet sein, als er Carnacki in Chelsea aufsuchte und ihm von seinem Spukerlebnis berichtete. Vielleicht hatte er sie nur kurz durchs Zimmer huschen sehen und ihr Aussehen mehr unterbewusst gespeichert.
Nelly Sawman – Noreena Stryker. Dieselben Initialen: NS.
Das konnte kein Zufall sein. Die Frau, die in drei verschiedenen Seen mit drei verschiedenen Männern Selbstmordversuche unternommen hatte, bei denen sie stets mit dem Leben davongekommen war, hatte ihren Namen geändert und arbeitete nun in Carnackis Haushalt.
Und jetzt verstand er auch die einzigen drei Worte, die Abernathys Geist gesprochen hatte: „No! Thomas Carnacki!“ Es war eine Warnung an den Geisterfinder gewesen, sich nicht mit Nelly bzw. Noreena einzulassen. Er verstand auch, weshalb Noreena nicht ganz glücklich gewesen war, als der Geisterdetektiv den Fall des Lake Easton angenommen hatte. Sie musste damit rechnen, dass er herausfand, was vor zwei Jahren dort geschehen war.
Und nun war Carnacki verschwunden!
Verschwunden oder – tot auf dem Grunde eines Sees?
Sir Darren musste auf dem schnellsten Wege nach London.
6
„Mr. Carnacki ist bedauerlicherweise nicht zu Hause.“
Sir Darren musterte Noreena Stryker mit scharfem Blick. Sah so eine Mörderin aus? Hatte sie den Nerv, Carnacki verschwinden zu lassen und danach weiterhin seinen Haushalt zu versehen, als wäre nichts geschehen? War dies ihre Tarnung? Gewiss hatte sie ihn in der knappen Zeit nicht dazu bewegen können, mit ihr einen Liebesselbstmord zu begehen. Hatte sie andere Methoden angewandt, um ihn zu beseitigen?
„Das erste Mal, als Sie mir
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