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Falkengrund Nr. 34

Falkengrund Nr. 34

Titel: Falkengrund Nr. 34 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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beugten und die Körper ins Boot zogen. Jemand musste die Vorbereitungen der beiden Lebensmüden beobachtet haben und herbeigerudert sein, um sie zu retten. Dass er dazu nur diese Stange mit den mörderisch spitzen Haken zur Hand hatte, wurde dem männlichen Teil des Paares zum Verhängnis. Die Frau brachte man zuerst ins Boot, und als man den schweren Körper des Mannes aus dem Wasser zog, war kein Leben mehr in ihm. Verblutet, ertrunken – was auch immer die Todesursache gewesen sein mochte, bei ihm kam alle Hilfe zu spät.
    Das Bild verblasste, der Spuk zog sich in das Innere des Nebels zurück wie in eine Zuflucht, aus der er jederzeit wieder hervorkommen konnte, wenn sich ein Lebender dem See näherte, der aufnahmebereit für diese Dinge war.
    Als Sir Darren wieder Herr seiner Sinne war, spuckte er angewidert aus. Die wenigen Tropfen Seewasser in seinem Mund entfalteten einen scheußlichen Geschmack, wie von faulendem Fleisch. Er stand schwankend auf, massierte seine eingeschlafenen Beine und taumelte zur Kutsche zurück. Die Pferde standen voller Gelassenheit dort und kauten geduldig an dem kärglichen Gras, das diese Gebirgsgegend zu bieten hatte. Lange stand Sir Darren an der Kutsche und versuchte das Gesehene zu verkraften. Es war keine Seltenheit, dass Geister ihren Tod abspulten wie einen Film. Sie waren im Schrecken dieser Augenblicke gefangen wie in einer Zeitschleife und durchlebten sie immer wieder. In manchen Fällen wie diesem hier waren sie so stark traumatisiert, dass sie das Geschehen für andere, lebende Menschen sichtbar machen konnten.
    Es konnte kein Zweifel bestehen, dass der Geist des durch den Haken zu Tode gekommenen Mannes ihm diese Szene gezeigt hatte. Der arme Kerl war entschlossen gewesen zu sterben – aber nicht auf diese Weise!
    Sir Darren ärgerte sich, dass er das Gesicht der Frau nicht gesehen hatte.
    Er dachte nach. Für ihn gab es hier nichts mehr zu tun. Nach einem langen Blick auf den nebligen See kletterte er auf die Kutsche und trat den Rückweg an.

5
    Lake Easton lag ausdrucksvoll im rosafarbenen Schein eines klaren Morgens, als Sir Darren dort eintraf. Fünf Boote waren weit aufs Ufer gezogen worden, unordentlich, wie von der Hand eines Riesen hingeworfen. Er lief die Boote ab, untersuchte sie und fand an einem davon einige menschliche Haare. Bei einem anderen war ein Teil des Bodens von innen heraus schwarz verkohlt, und das Holz roch nach Öl.
    Die Reise war lang und beschwerlich gewesen und hatte viel Zeit für Spekulationen geboten. Wenn er das recht verstand, so hatten sich in den drei Seen ähnliche Szenen abgespielt. Am Loch Gacht hatte es vermutlich begonnen. Zwei Menschen waren zusammen ins Wasser gegangen, um ihr Leben zu beenden. Die Frau allerdings hatte man retten können. Sir Darren nahm an, dass es sich bei der Frau, die Jahre später im Ushtington Pool einen neuen Suizidversuch mit einem anderen Partner unternahm, um ein und dieselbe Person handelte. Beweise dafür hatte er keine, doch dass es einen Zusammenhang geben musste, hatte der seltsame Spuk hier am Lake Easton aufgezeigt, bei dem die Umrisse der drei Seen als Zeichnung eines Fisches zu sehen gewesen waren. Der Vorfall im Ushtington Pool lag etwa fünf Jahre zurück, jener am Lake Easton zwei. Nelly Sawman war der Name der Frau, die überlebt hatte. Was wollte der Spuk von Carnacki? Dass er diese Nelly fand, ehe sie in irgendeinem anderen See Britanniens einen vierten Mann in den Tod riss? Was meinte Abernathys Geist, wenn er ‚No!’ rief? Dass es kein weiteres Opfer mehr geben durfte?
    Im 21. Jahrhundert wäre es Sir Darren gewiss leichter gefallen, einen bestimmten Menschen ausfindig zu machen. Hier und jetzt, im Jahre 1910, waren seine Möglichkeiten sehr begrenzt. Selbst wenn die Frau sich ganz in der Nähe aufhielt, war die Suche nach ihr fast aussichtslos. Von Edinburgh aus hatte er ein Telegramm an Carnacki geschickt. Natürlich wusste er nicht, ob es angekommen war, denn als Reisender war er nicht zu erreichen.
    Sir Darren spazierte am Ufer entlang und hing seinen Gedanken nach. Plötzlich raschelte es unweit von ihm im Ried, und sein Blick fiel auf einen Mann, der hinter einer natürlichen Wand aus Schilf saß und auf den See hinausblickte, auf den Knien einen Zeichenblock, auf dem er mit Kreide Skizzen machte.
    „Mein Name ist Darren Edgar“, sprach er ihn an. „Wenn die Frage gestattet ist: Zeichnen Sie den See öfters?“
    „Neuerdings, ja“, erwiderte der Mann, während er

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