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Falkengrund Nr. 34

Falkengrund Nr. 34

Titel: Falkengrund Nr. 34 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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etwas sagen?
    Für einen Moment schwebte eine Stimme im Raum, eine weibliche Stimme vermutlich, aber was sie sagte, war nicht auszumachen. Dann verschwand der Spuk. Die Luft erwärmte sich so schlagartig, dass man hätte schwören können, jemand habe in nächster Nähe einen Wärmestrahler eingeschaltet.
    „Du bist nicht stark genug“, flüsterte Sir Darren. „Versuch es noch einmal. Der Äther ist in Bewegung. Er kann manchmal sehr dick werden, aber kurz darauf ist er vielleicht wieder durchlässig. Ich bin hier und warte, was du mir zu sagen hast. Du darfst nicht aufgeben.“ Wenn er mit den Geistern sprach, klang seine Stimme unendlich sanft, verständnisvoll, als wären die Lebenden alle Erwachsene und die Seelen alle Kinder.
    Er drückte die Klinke, trat einen Schritt in den dunklen Raum, in dem sich die Flaschenregale mit den rautenförmigen Fächern undeutlich abzeichneten, und fand den Lichtschalter, der innen angebracht war. Hier hatte er vor Jahren eine 100 Watt-Birne eingedreht, um die Etiketten besser lesen zu können.
    Jetzt schien es ihm, als bringe die Lampe nicht ihre volle Leistung. Sie glomm gedämpft vor sich hin, flackerte sogar. Ein Zeichen dafür, dass der Spuk sich wieder festigte und dafür elektrische Energie aus der Umgebung saugte? Spätestens seit seiner Begegnung mit dem Geisterfinder Carnacki wusste Sir Darren, welche außerordentliche Bedeutung der Elektrizität bei der Kontaktaufnahme zwischen Diesseits und Jenseits zukam.
    Sir Darren näherte sich dem hinteren linken Regal, wo einige seiner edelsten Tropfen lagerten, darunter zwei kaum bezahlbare Flaschen Sassicaia aus der Toskana, die man allmählich öffnen sollte, da sie nach zwanzig Jahren Lagerzeit ihren Zenit erreicht oder wohl eher überschritten hatten.
    Als er mit der Hand den Flaschenhals berührte, gab es einen gewaltigen Knall.
    Mit der Flasche oder dem Regal hatte das nichts zu tun. Die Kellertür war zugefallen, nein, mit gewaltiger Wucht zu geschmettert worden. Natürlich gab es hier unten keinen Luftzug, und es hätte ohnehin eines Sturms bedurft, um die schwere Holztür mit dieser Gewalt zuzuschlagen.
    Sir Darren ließ den Wein Wein sein und wollte zur Tür eilen. Doch zwischen ihm und der Tür stand jemand und versperrte den Weg.
    Verschwommen wie hinter einer Milchglasscheibe erkannte er eine nackte junge Frau. Ihre Haut war dunkel, tendierte jetzt jedoch zu einem unruhigen, flimmernden Grau wie bei einem undeutlichen analogen Fernsehbild. Über ihre Brust verlief ein gewölbtes Eisenstück, so dick wie ein Arm. Wenn sie sich drehte, konnte man erkennen, dass es auf dem Rücken in einer Geraden weiterging. Es lag eng um ihren Brustkorb und drückte ihre Brüste flach. Ein Metallobjekt in der Form eines großen E’s fixierte mit seinen beiden Zwischenräumen ihren Hals und ihre rechte Hand, die irgendwie dort eingehängt war.
    Obwohl ihm das Blut in den Kopf schoss, fröstelte Sir Darren und wünschte sich einen Mantel. Er kannte die Frau … das Mädchen …
    „Sanjay“, brachte er mit konzentrierter Ruhe hervor. „Arme Sanjay …“
    Eine vergleichbare Erscheinung hatte er noch nie vor sich gehabt. Auch welch furchtbare Weise musste sie ums Leben gekommen sein? Hatte man ihm nicht erzählt, sie sei in der Asservatenkammer in Karlsruhe an einem Stromschlag gestorben? Wenn das stimmte, warum erschien sie dann hier, warum ihm, und warum in diesem … Zustand?
    Ihr Gesicht, ihr ganzer Körper, sie waren verzerrt vor Schmerzen. Silbern schimmernde Tränen liefen aus ihren Augen, und auch der Schweiß, der dick und körperlich auf ihrer Stirn perlte, war silbern, quecksilbern.
    „Wie kann ich dir helfen?“, wisperte Sir Darren. Er gab sich Mühe, nicht vor ihr zurückzuweichen. „Dass du dich an mich wendest, bedeutet, dass ich etwas für dich tun kann.“
    Ihr Blick war durchdringend, und als sie sprach, klang ihre Stimme nicht wie aus weiter Ferne, sondern als rede sie nahe an seinen Ohren.
    „Du … kannst … mir helfen …“
    „Gut“, erwiderte Sir Darren. „Das ist gut. Sag mir nur, wie. Ich bin zu allem bereit.“
    „Das ist … gut“, verwendete sie seine Worte. Qual und Schmerz klang aus jeder Silbe, und ihr stöhnendes Atmen war überlaut zu hören, als wäre das ganze Schloss ihre Lunge und der Keller ihr Mund. „Ich muss … ich muss …“
    Sir Darren sah etwas aufblitzen und ließ sich nach hinten fallen. Er prallte gegen eines der Weinregale. Es klirrte, ein abgebrochener Flaschenhals

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