Falkengrund Nr. 34
fiel zu Boden und dunkler Rotwein ergoss sich auf Sir Darrens Kleidung und auf den Boden. Eine gewaltige, sichelförmige Klinge hatte die Luft wenige Zentimeter vor seiner Nase durchschnitten. Die fremde Waffe bildete den Buchstaben J. Er zweifelte nicht an der tödlichen Schärfe der gebogenen Klinge. Hätte sie damit seinen Hals getroffen, läge er jetzt im Todeskampf auf dem Fußboden, und die Rotweinlache wäre eine Lache aus seinem Blut.
Aufatmen konnte er nicht. Er war mit dem mordlustigen Geist in einem winzigen Raum gefangen. Ob der nächste Schlag ihm den Tod brachte oder der übernächste – sein Ende nahte.
Doch die Situation entwickelte sich anders als er erwartete. Sanjay, die jetzt in unerträglicher Deutlichkeit vor ihm stand, realer als real, schleuderte das J-förmige Objekt mit der einzigen freien Hand von sich. Die Waffe traf eines der Regale, und wieder regnete es Scherben und Rotwein. Die Erscheinung brach zusammen und wimmerte. Das Licht wurde schwächer und verlosch für einige Sekunden ganz.
„Lass mich endlich sterben“, heulte Sanjay. „Ich bin … doch schon tot! Lass mich … endlich …“
Sir Darren näherte sich ihr vorsichtig. Ein anderer hätte vielleicht nach der herrenlosen Waffe gegriffen, um sich verteidigen zu können, falls sie mit der bloßen Hand auf ihn losging, doch das war nicht seine Art. Einem Wesen, das so gepeinigt wurde wie sie, durfte man nicht mit einer Waffe in der Hand begegnen.
„Du bist tot und kannst doch nicht sterben“, stellte er mit leiser, brüchiger Stimme fest. „Etwas quält dich weiter. Ruhig, nur ruhig. Du wirst mir jetzt sagen, was es ist. Wir …“
Sie wandte ihm ihr schmerzverzerrtes Gesicht zu und zischte: „Das hier … und das hier!“ Sie zeigte auf die beiden Eisenkonstruktionen, die sie folterten. Sir Darren wurde schlagartig klar, dass es der Ring um ihre Brust ein D darstellte. Einen Buchstaben! Das E, in dessen Zwischenräume ihr Hals und ihre Hand geklemmt waren, hatte er längst als solchen erkannt.
D und E.
Seine Initialen: Darren Edgar.
„Ich … ich bin es, der dich quält?“, fragte er fassungslos. „Aber das kann nicht … Das … warum?“
Als sie langsam wieder in sich zusammensank, ging er neben ihr in die Hocke. Er wusste, dass es gefährlich war. Vorsichtig tastete er nach dem eisernen E an ihrem Hals. Doch dort, wo seine Augen kalt schimmerndes Metall sahen, spürten seine Finger nur eine Art Kribbeln, als greife er in ein elektrisches Feld. Er hatte keine Chance, es zu entfernen. Nicht ohne gründliche Vorbereitung.
„Wir versuchen etwas“, flüsterte er. „Wir konzentrieren uns. Du näherst dich meiner Welt, ich nähere mich deiner. In der Mitte kommen wir zusammen.“ Er hatte keine Ahnung, wie er es angehen sollte. Es war nichts als eine einfache, kleine Idee, völlig haltlos und aus der Verzweiflung geboren. Sein Mitleid mit dieser geschundenen Kreatur war riesig – es erdrückte seine Angst um das eigene Leben.
Er schloss die Augen, versuchte sie zu spüren anstatt zu sehen.
Nur einmal in seinem Leben war er einem Spuk so nahe gekommen, damals, vor rund 25 Jahren in dieser Zeitrechnung, als er sich zwei Stockwerke höher Lorenz von Adlerbrunn entgegengestellt hatte.
Plötzlich ruckte Sanjay hoch. Er spürte sie wie einen Windstoß, riss die Augen auf. Er versuchte aufzuspringen, doch stattdessen kippte er in gehockter Haltung um. Sie war über ihm und nicht mehr unbewaffnet. Dieses gerade, speerartige Ding, so lang wie sie groß war, ein großes I vielleicht – woher hatte sie das nur auf die Schnelle? Von dort, wo sie hergekommen war? Aus dem Jenseits? Von dort stammten offenbar die Buchstaben, die sie quälten, und die Buchstaben, mit denen sie ihn töten wollte. Brutale Waffen und Folterinstrumente, alle in Form von lateinischen Lettern. Oder bildete er sich das nur ein? Musste ein Büchernarr wie er zwangsläufig in allem Buchstaben sehen?
Egal. Sanjay stand, er lag. Der Speer befand sich in ihrer Hand. Die Spitze des Speers (war ein I wirklich so spitzig, musste es nicht an beiden Enden stumpf sein?) bewegte sich auf seine Brust zu, dann nach oben in Richtung seines Halses. Der Kehlkopf war ein gutes Ziel für das, was sie zweifellos vorhatte. Klar, dass die Speerspitze sich wenige Zentimeter darüber einpendelte.
Die Waffe in Sanjays Hand zitterte. Ein Geist, der vor Schmerzen schlotterte.
„Nicht, Sanjay“, gurgelte Sir Darren. „Wir finden einen Weg. Wir brauchen nur noch etwas
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