Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
selbstmörderischen Ritt geben.«
»Ja, aber wie kommt Sadik dann aus Falkenhof hinaus?« Sein Onkel lächelte ihn verschmitzt an. »Wie ich es von Anfang an gesagt habe: mit dem Ballon natürlich! Er weiß nur noch nichts davon. Und ich denke, dabei sollten wir es vorerst auch belassen. Die große Erleuchtung erfolgt für ihn noch früh genug. Möge Allah diesmal auf der Seite der Ungläubigen sein – immerhin geht es ja um die Rettung eines tapferen und gläubigen bàdawi! «
VIERTES BUCH
Auf der Flucht
Mai – Juni 1830
Doppelte Täuschung
Die schwarze Hülle des Falken hing zwischen den Pfosten, die acht Fässer standen an ihrem Platz und das erste Gas begann durch das Röhrensystem in den Ballon zu strömen. Damit war der körperlich anstrengendste Teil der Fluchtvorbereitungen abgeschlossen. Sadik wollte Sultan schon satteln, doch Tobias konnte ihm das ausreden.
»Es wird noch mindestens vier Stunden dauern, bis der Ballon richtig prall mit Gas gefüllt ist. Soll Sultan so lange gesattelt herumstehen?«
»Vier Stunden? Geht es denn nicht mit weniger Gas?«, nörgelte Sadik, der nicht wieder zu erkennen war. Es war, als hätte ein zweites, bisher verborgenes Ich, verängstigt und blind, die Kontrolle über ihn an sich gerissen.
Tobias wäre gern freundlich zu ihm gewesen, doch sein Onkel hatte ihm geraten, ihm eher die kalte Schulter zu zeigen. Sadik durfte keinen Verdacht schöpfen. Deshalb erwiderte er recht schroff: »Nein, das geht nicht! Vom Ballonflug verstehst du nichts. Also rede mir nicht rein.« Damit wandte er sich ab und füllte noch einmal Vitriolsäure nach.
Dann rief Heinrich Heller die beiden zu sich.
»Damit nachher in der Hektik nicht etwas vergessen wird, möchte ich die wichtigen Dinge schon jetzt mit euch besprechen. Ich habe hier auf der Karte zwei Kreise um Falkenhof eingezeichnet. Der erste Kreis hat einen Radius von zwanzig Kilometern. Der Falke wird auch im ungünstigsten Fall so weit gelangen. Diese vier roten Kreuze auf der Kreislinie kennzeichnen die Treffpunkte. Der zweite Kreis hat einen doppelt so großen Radius mit ebenfalls vier markierten Orten, wo ihr wieder zusammenfinden sollt. Ihr könnt die Karte hinterher eingehend studieren. Ich lege dir aber ans Herz, Tobias, noch innerhalb des ersten Kreises den Ballon zu landen, damit du schneller wieder mit Sadik zusammen bist.«
»Aiwa, der Meinung bin ich auch«, sagte Sadik.
Tobias vermied es, seinen Onkel anzuschauen. Dieses ganze Gerede mit den Kreisen war nichts weiter als eine Farce und diente dem alleinigen Zweck, Sadik auch weiterhin in Sicherheit zu wiegen.
»Wenn du meinst …«, gab er sich mürrisch, ganz seine Rolle spielend.
»Ich meine es nicht nur, sondern ich erwarte von dir, dass du dich daran hältst!«, sagte sein Onkel, als wolle er ihm ins Gewissen reden.
»Gut, ich werde landen, wenn ich in die Nähe von einem der Punkte auf dem ersten Kreis komme«, versprach Tobias ein wenig lustlos. »Und was ist dann?«
»Ihr werdet euch zunächst einmal nach Speyer begeben«, erklärte sein Onkel. »Dort wohnen gute Freunde von mir. Claus Detmer und seine Frau Benita. Ganz reizende Leute. Er ist ein Scholar und Komponist. Ein feiner Mann«, sinnierte er. »Seine Frau schreibt Lyrik, und gar nicht mal die schlechteste. Allein mit der Prosa hapert es bei ihr. Da folgt die Feder mehr dem Gefühl als der Schärfe des Verstandes.«
»Und wo finden wir die beiden?«, wollte Tobias wissen.
»Auf dem Tannenweg, stadtauswärts in Richtung Havler. Fragt nach der Schlosserei von Peter Fülle. Sie sind quasi Nachbarn.«
»Und du bist sicher, dass sie uns verstecken werden?« Der Gedanke, sich Fremden anzuvertrauen, behagte ihm gar nicht.
»Bei ihnen findet ihr ganz sicher herzliche Aufnahme. Und dort fallt ihr auch gar nicht auf, was ein ganz wichtiger Punkt ist!«
Tobias zuckte mit den Achseln. »Wir sind Fremde! Wie soll das nicht auffallen, wenn sie nicht mal mitten in der Stadt wohnen?«
»Der Mann ein Musikus und die Frau stets auf den Schwingen der lyrischen Muse – das ist schon ungewöhnlich genug. Aber zudem sind die Detmers noch bekannt dafür, dass sie ein offenes Haus führen und ständig Gäste haben. Wochenlang. Bei ihnen verkehren brotlose Schriftsteller und überspannte Maler, exzentrische Lyriker und Künstler, deren einzige Kunst darin besteht, große Reden zu führen und sich auf Kosten anderer faul durchs Leben zu schlagen«, spottete Heinrich Heller. »Ein
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