Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
Männer, die das Gut umstellt hatten. Zeppenfeld und seine Komplizen unternahmen keinen Versuch, sich mit Gewalt Zugang zu Falkenhof zu verschaffen. Dafür waren sie zu schlecht gerüstet und auch zahlenmäßig nicht stark genug. Die Gendarmen waren am wenigsten daran interessiert, ihre Haut zu Markte zu tragen. Ihr Befehl lautete, den Herrn Professor an der Flucht zu hindern und ihn wenn möglich festzunehmen. Ersteres war ihnen gelungen, Letzteres würde bis zum Morgen warten müssen. Denn vom Erstürmen einer kleinen Festung war nicht die Rede gewesen. Und da mit einer Umstellung des Landgutes eine Flucht ausgeschlossen war, konnte man mit dem Verlauf der Dinge recht zufrieden sein und im Bewusstsein, seine Pflicht getan zu haben, auf die Vorgesetzten und die Verstärkung warten.
Die Ungewissheit, wann denn nun die Verstärkung aus Mainz eintreffen würde, zehrte an Tobias’ Nerven. Immer wieder lauschte er in die Nacht mit der Befürchtung, das dumpfe Trommeln einer herangaloppierenden Einheit Soldaten zu vernehmen. Wie viel Zeit blieb ihm noch? Sollte er es nicht schon mit halb gefülltem Ballon versuchen? Waren die Soldaten erst eingetroffen, wäre ein Ballonaufstieg reinster Selbstmord. Eine Gewehrsalve würde den Falken zerreißen und ihnen den sicheren Tod bringen.
Tausend Ängste quälten ihn, während er auf dem Hof von Fass zu Fass eilte, mit Eisenspänen und Säure hantierte und die Säcke an die Gondel band die Jakob und Klemens mit Erde füllten. Das Gas schien so langsam wie nie zuvor durch die Rohre zu strömen. Mit einem Heißluftballon wären sie jetzt längst auf und davon gewesen. Hatte er auch das richtige Mischungsverhältnis eingehalten? Doch, so hatte Onkel Heinrich es ihm beigebracht. Aber trotzdem stimmte etwas nicht! Was war nur mit dem Ballon? Warum blähte er sich nicht weiter auf? Hatten sie ihn vorhin zu hastig entfaltet und hochgezogen, sodass er Risse bekommen hatte? Unsinn! Wie konnte er erwarten, innerhalb von Minuten den Ballon sich wölben zu sehen?
Was war mit dem Wind? Er sprang immer wieder um. Der Wetterhahn auf dem Südtrakt zeigte mal nach Süden, dann nach Osten. Jetzt schwang er sogar nach Nordosten herum und blieb dort stehen! Der Wind würde sie geradewegs nach Mainz treiben. Gott sei Dank, er drehte wieder nach Osten!
Tobias durchlitt ein Wechselbad nach dem anderen. Doch die Stunden vergingen, ohne dass aus Mainz Verstärkung eintraf. Und der Ballon wurde praller und praller – und Sadik immer nervöser. Wie ein Tiger in Gefangenschaft lief er vor den Stallungen auf und ab. Sultan stand gesattelt bereit. Sein Bündel hatte er auch schon auf den Rücken des Pferdes geschnallt.
»Wir können nicht mehr länger warten, Tobias! Wir müssen los!«, drängte er. »Wenn die Soldaten eintreffen, war alles vergeblich!«
Tobias schickte einen Blick zum Falken hoch. »Wir können bald los. Nur noch eine letzte Füllung.«
Sadik stöhnte gequält auf. »Hörst du denn nicht, wie das Gewebe jetzt schon ächzt? Willst du, dass er aus den Nähten platzt?«
»Was du hörst, kommt von den Haltetauen«, erklärte Tobias, füllte überall noch einmal auf und lief dann ins Haus, um seine Sachen, die er mitnehmen wollte, aus dem Zimmer zu holen. Viel war es nicht. Außer der Kleidung, die er am Leibe trug, hatte er einen alten Anzug seines Vaters eingepackt. Sein Onkel hatte ihm dazu geraten.
»Nimm auch einen abgescheuerten Hemdkragen mit und eine altmodische Krawatte. Von mir kriegst du einen Zwicker, dessen Gläser mir schon vor zehn Jahren zu schwach waren. Zieh das nach der Landung an und gib dich als Hauslehrer aus. Du siehst jetzt schon ein, zwei Jahre älter aus, als du bist. In den Sachen deines Vaters wird man dir die Rolle des arbeitslosen Lehrers abnehmen. Man wird nach einem Jungen suchen, nicht nach einem herumziehenden Lehrer auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle.«
»Und Sadik? Er fällt doch überall auf.«
»Er muss sich etwas einfallen lassen. Phantasie hat er ja genug – wenn er erst mal wieder bei Vernunft ist.«
Tobias stopfte die Sachen in einen großen Leinensack, warf nach kurzem Zögern noch vier Bücher hinein, die er für Jana ausgesucht hatte, steckte sich sein Messer hinter den Gürtel und beschloss dann, auch das Metronom mitzunehmen. Die Toledo-Klinge trug er schon umgeschnallt.
Als er den Gang hinunterging, fielen ihm plötzlich die Tagebücher seines Vaters ein. Wer wusste, wie Pizalla und Zeppenfeld auf Falkenhof hausen würden?
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