Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
Alles auf den Kopf stellen würden sie, hatte sein Onkel gesagt, das Unterste nach oben kehren. Und dabei würde bestimmt das eine oder andere in den Taschen der Soldaten und von Zeppenfelds Männern verschwinden!
Tobias überlegte nicht lange. Er lief zur Wäschekammer und leerte eine kleine weidengeflochtene Truhe, in der Lisette ihre gestärkten weißen Schürzen aufbewahrte. Sie hatte vorn einen Verschluss mit einem Holzpflock und an den Seiten zwei feste Griffe. Damit begab er sich ins Zimmer seines Vaters. Die Tagebücher nahmen kaum die Hälfte des Platzes in Anspruch. Er stopfte noch seinen Kleidersack mit hinein, den Walknochen und ein paar andere Dinge, die ihm aus dem Zimmer seines Vaters mitnehmenswert schienen.
Bücher, auch wenn sie nur wenig Platz beanspruchen, haben ein beachtliches Gewicht. Das merkte Tobias, als er die Weidentruhe hinunter in den Hof schleppte. Sein Kleidersack hatte ihm nicht halb so viel Mühe bereitet.
Sadik half ihm, sie über den Rand der Gondel zu heben. »Allmächtiger, was hast du denn da drin? Kanonenkugeln als Ballast?«
»Vaters Tagebücher! Sie sollen Zeppenfeld nicht in die Hände fallen.«
Sadik schüttelte den Kopf. »Damit kommen wir nicht weit, Tobias. Wir haben erst mal nur ein Pferd. Es muss schon uns beide tragen. Diese Bücherkiste zusätzlich kann Sultan nicht verkraften!«
»Dann verstecke ich sie nach der Landung, wo sie keiner finden kann«, beruhigte Tobias ihn erst einmal.
Heinrich Heller trat auf den Hof. Er stützte sich auf einen Spazierstock, während er Wattendorfs geheimnisvolles Geschenk unter den Arm geklemmt hielt.
»Ich hoffe, du bereust es nicht, den Stock mitgenommen zu haben, mein Junge«, sagte er sorgenvoll, als Tobias ihm den Falkenstock abnahm und in die Gondel legte.
»Bestimmt nicht, Onkel! Zeppenfeld soll ihn jedenfalls nicht kriegen!«
Sadik ging mit Sultan, den er am kurzen Zügel hinter sich herführte, zu ihnen über den Hof. »Sihdi, wir können nicht länger warten! Es wird Zeit!«
Heinrich Heller warf einen prüfenden Blick zum Ballon hoch und nickte dann. »Ja, das ist es wohl.« Er seufzte. »Jetzt heißt es Abschied nehmen.« Er blickte zu Jakob hinüber, der hinter ihnen an der Gondel stand, und wollte wissen: »Ballast und Proviant an Bord, Jakob? Alles bereit?«
»Alles bereit, Herr«, lautete Jakobs Antwort.
Tobias schluckte und wagte nicht, seinen Onkel oder gar Sadik anzublicken.
»Sadik, mein Freund, ich lasse dich nur ungern ziehen. Es gibt so vieles, was ich dir noch sagen möchte. Du hast unser aller Leben bereichert … Ach, mir fehlen die Worte, mein Guter«, sagte Heinrich Heller nahm die Hände des Arabers mit sichtlich innerer Bewegung in seine Hände und hielt sie fest. »Ich wünschte, ich könnte dir den Abschied geben, den du verdient hast. Ich hoffe, du wirst mich trotz allem in guter Erinnerung behalten – und möge der Allmächtige, welchen Namen er auch tragen mag, es fügen, dass wir uns eines Tages wieder sehen.«
Sadik war nicht weniger bewegt, aber auch verwirrt. »Sihdi Heinrich! Weshalb sollte ich Sie nicht in guter Erinnerung behalten?«
»Weil ich bei aller Achtung für deinen Glauben manche deiner Koranauslegungen für geistige Verwirrungen halte«, erklärte Heinrich Heller und nickte.
Tobias spürte, wie Jakob hinter sie trat, und ihm wurde ganz heiß. Wenn Sadik sich jetzt umdrehte, würde es eine Katastrophe geben!
»Aiwa, aber …«
In dem Moment schlug Jakob zu.
Sadik gab einen erstickten Laut von sich, verdrehte die Augen und fiel in sich zusammen wie eine Marionette, deren Fäden plötzlich erschlaffen.
Jakob ließ den Knüppel fallen und fing Sadik auf.
»Hast du auch nicht zu hart zugeschlagen?«, fragte Tobias.
»Mit Daunenfedern kannst du keinen steinigen und mit ’ner Kopfnuss keinen bewusstlos schlagen. Ich hab ihm kräftig eins übergezogen. Kann also nicht dafür garantieren, dass er keine Kopfschmerzen haben wird, wenn er wieder aufwacht«, sagte Jakob trocken und zog den Bewusstlosen zur Bretterplattform.
»Mach dir mal um Sadik keine Sorgen. Besser eine dicke Beule und einen Brummschädel als eine Kugel zwischen den Rippen und zehn Jahre Kerker«, rechtfertigte Heinrich Heller die brutale Art des Vorgehens. »Er hat uns keine andere Wahl gelassen. Es wäre zu gefährlich gewesen, ihn anders überwältigen zu wollen – für uns und für ihn.«
»Ich hoffe bloß, er bleibt lange genug bewusstlos«, sagte Tobias in dumpfer Ahnung. »Am besten für die
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