Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
kein Alter, in dem man den heimischen Herd verlassen und die Welt erobern kann!«
Tobias hatte Mühe, seinen Ärger unter Kontrolle zu halten und nicht damit herauszuplatzen, dass Erwachsene offenbar eine Kunst ganz ausgezeichnet beherrschten: nämlich jede Situation so zu drehen, ja zu verdrehen, bis sie so aussah, wie es ihnen in den Kram passte. In dieser Beziehung war auch sein Onkel, auf den er sonst nichts kommen ließ, keine Ausnahme.
»Ständig reitet jeder auf meinem Alter herum! Vater, Sadik und du!«, entgegnete er und erregte sich trotz besseren Vorsatzes. »Vater ist mit neunzehn schon einmal halb um die Welt gesegelt, und er war damals weder mit seinen körperlichen noch mit seinen geistigen Fähigkeiten weiter als ich heute. Nicht, dass ich mir etwas darauf einbilde, aber so ist es doch nun mal! Und ich erinnere mich noch gut daran, was du mir einmal gesagt hast, nämlich, dass das Alter kein Maßstab für Reife und Weisheit ist! Also was denn nun?«
Heinrich Heller lächelte gequält. »Tja, solche Worte sind wie eine zweischneidige Klinge, und es kommt immer darauf an, in wessen Hand sie liegt«, versuchte er sich aus der Klemme zu lavieren.
»Ich bin kein kleines Kind mehr!« Tobias ließ nicht locker.
»Das habe ich auch nicht gesagt.«
»Aber ihr behandelt mich so!«, begehrte Tobias auf.
»Was erwartest du denn von mir? Ich bin dein Onkel, nicht dein Vater. Denkst du denn, ich könnte dich einfach so aus dem Haus gehen lassen? Und wohin willst du gehen? Vielleicht deinem Vater hinterher, nach Madagaskar? Das schlag dir aus dem Kopf. Und komm mir jetzt nicht damit, dass Sadik dich ja begleiten kann!«
Tobias spürte Aufwind und sein Gesicht leuchtete auf. Es ging nun schon nicht mehr darum, ob sein Onkel ihn gehen lassen würde, sondern nur noch wohin. Und darauf hatte er schon die passende Antwort parat: »Nach Paris!«
»Nach Paris?«, wiederholte Heinrich Heller, ohne sonderlich verblüfft zu sein. »Hast du vielleicht doch Sehnsucht nach Monsieur Fougot?«
Tobias schüttelte unwillig den Kopf. »Natürlich nicht. Aber in Paris wohnt doch Monsieur Roland, der ein guter Freund von Vater ist.«
Heinrich Heller musste seinem Neffen im Stillen zugestehen, dass das ein äußerst geschickter Schachzug war. Jean Roland war in der Tat ein guter Freund von Tobias’ Vater. Und da er dessen Abenteuerlust teilte, hatte er sich seiner letzten Nilquellen-Expedition angeschlossen, einer Expedition, die die sechsköpfige Gruppe, zu der auch Sadik gehört hatte, um Haaresbreite in den Tod geführt hatte.
»Nun ja, aber wer weiß, mit welchen Plänen sich Monsieur Roland gerade trägt«, sagte er ausweichend, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Paris. Für Tobias schon ein Teil der großen, abenteuerlichen Welt – und doch noch keinen Kontinent entfernt vom Falkenhof. Und Monsieur Roland war ein Mann mit Vernunft und Verantwortungsgefühl. Verleger einer sehr liberalen Zeitung. So gesehen keine schlechte Wahl.
»Aber das wissen wir doch haargenau!«, setzte Tobias unerbittlich nach. Als sein Vater Falkenhof verlassen hatte, war sein erstes Reiseziel auf dem Weg nach Madagaskar Paris gewesen. Denn er hatte gehofft, Jean Roland von seinem neuen Plan begeistern und bewegen zu können, ihn auch diesmal zu begleiten. Doch dieser hatte sich ihm nicht angeschlossen. »Es stand doch im Brief, den Vater uns aus Paris geschickt hat: Monsieur Rolands Frau erwartet im Herbst ein Kind und auch wegen seiner Zeitung kann er nicht weg. Er bleibt in Paris. Das sind seine Pläne! Und ich kann Französisch so gut wie Maurice Fougot. Bestimmt nimmt mich Monsieur Roland in seinem Haus auf. Und einen Sohn in meinem Alter hat er auch. Andre heißt er!«
»Wer sagt dir denn, dass ihr euch verstehen werdet?« Heinrich Heller lächelte insgeheim über seinen eigenen Einwand. Wie wenig er den Vorschlägen seines Neffen noch entgegenzusetzen hatte!
»Wir raufen uns schon zusammen!«
»Und was willst du da machen?«
»Was immer ich darf!«, erwiderte Tobias wie aus der Pistole geschossen. »Bei so einer Zeitung gibt es bestimmt viel zu lernen, oder nicht?«
»Ja, gewiss …«
»Nun sag schon ja! Bitte, Onkel Heinrich. Sag, dass du Monsieur Roland schreibst und anfragst, ob ich zu ihm kommen kann«, bat Tobias inständig.
Heinrich Heller wand sich, obwohl er wusste, dass die Würfel schon gefallen waren. Tobias hatte sich das alles zu gut zurechtgelegt, als dass er dagegen ernsthafte Einwände hätte erheben
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