Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
wenn er traurig war.«
Tobias schüttelte den Kopf. »Das ist doch unmöglich! Paradox!« Sadik lächelte. »Ja, so schien es. Doch er rief die Weisen des Landes zu sich in seinen Palast und erklärte ihnen, dass es genau das war, was er von ihnen zu erhalten wünschte. Und die Weisen begaben sich in die Einsamkeit und versuchten die Aufgabe zu lösen. Eines Tages dann hatten sie die Antwort gefunden, und als sie wieder vor den König traten, und dieser nach dem Ergebnis ihrer Mühen fragte, reichten sie ihm einen Ring. Und dieser magische Ring trug folgende Inschrift: ›Auch das wird vergehen!‹«
Ein Lächeln huschte über Tobias’ Gesicht. »Gut«, sagte er nur, und als er den Gang hinunterging, fühlte er sich nicht gerade fröhlich, doch irgendwie ruhiger.
Schwitzings Botschaft
Durch ein langes, schmales Fenster, das vergittert war, fiel das graue Licht des Nachmittags. Es reichte bei weitem nicht aus, um arbeiten zu können. Und so hatte Heinrich Heller vier Öllampen angezündet; zwei Kanonenöfen, die rechts und links vom schmalen Fenster standen, sorgten für ausreichende Wärme, aber gelegentlich auch für einen Schub Rauch. Denn wenn der Wind kräftig wehte, dann passierte es schon mal, dass er den Rauch in den provisorischen Abzugsrohren zurückdrückte. Es gab noch eine Menge an seiner neuen Werkstatt zu verbessern, aber für solch profane Dinge wie Ofenrohre hatte er keine Zeit, zumal der Frühling ja vor der Tür stand.
Heinrich Heller saß an einem langen ausrangierten Faktoreitisch, der mit einer Vielzahl von Glaszylindern, Kolben, Röhren, Brennpfannen und Auffanggefäßen voll gestellt war. Zu seiner Linken stand ein Mikroskop. Es war das beste, was man zur Zeit in Europa besitzen konnte, denn es verfügte schon über die Immersionslinse. Mit dieser vom Italiener Giovanni Battista Amici erst vor drei Jahren erfundenen Speziallinse war es nun möglich, eine noch stärkere Vergrößerung zu erhalten. Zu seiner Rechten stand eine camera obscura, die er mit einer Irisblende ausgerüstet hatte.
Als Tobias den lang gestreckten Raum betrat, der im Südflügel zu ebener Erde lag und auf den Innenhof hinausging, hob sein Onkel nur flüchtig den Kopf. »Ah, schau an! Spät kommst du, aber immerhin kommst du noch. Ich hielt dich schon für verloren«, bemerkte er mit sanftem Tadel.
»Tut mir Leid, Onkel. Ich … ich war noch für einen Moment in Vaters Zimmer«, rang er sich zur Ehrlichkeit durch.
»Soso, für einen Moment«, spöttelte Heinrich Heller und wandte sich wieder den Silberplatten für die camera obscura zu, mit deren Lichtempfindlichkeit er experimentierte.
»Na ja … und dann kam noch Sadik dazu und wir gerieten ins Reden.« Tobias bemühte sich, sein verspätetes Kommen zu entschuldigen. »Du weißt ja, wie es ist, wenn Sadik zu erzählen anfängt.«
»O ja, aber ich weiß auch, wie es ist, wenn du ins Fragen gerätst und nicht genug von seinen Geschichten erfährst«, erwiderte der Gelehrte und gab ihm damit zu verstehen, dass er sehr wohl wusste, wer hier zu tadeln war.
Tobias ersparte sich darauf eine Antwort. Was hätte er auch sagen können? Sein Onkel kannte und durchschaute ihn viel zu gut, als dass er ihm noch etwas hätte vormachen können.
»Was steht denn heute auf dem Lehrplan?«, wechselte Heinrich Heller nachsichtig das Thema.
»Seneca. Sein Brief an Paulinus«, sagte Tobias mit wenig Begeisterung in der Stimme.
»Ah, De brevitate vitae! Über die Kürze des Lebens! Ein ausgezeichneter Text! Und heute noch genauso zutreffend wie vor zweitausend Jahren, als er ihn schrieb!«, begeisterte sich sein Onkel.
»Tote Sprachen sind wie ein totes Meer, in dem absolut nichts lebt«, brummte Tobias, der die Begeisterung seines Onkels für die Schriften der Römer und Griechen nicht im Geringsten teilte. Dass es ihm keine große Mühe bereitete, diese Sprachen zu lernen, änderte nichts daran.
Heinrich Heller lachte amüsiert auf. »Die Torheit der Jugend! Sag mir, was außer ein paar Ruinen und Vasen von der römischen und griechischen Kultur geblieben ist?« Und er gab gleich die Antwort. »Ihre Schriften! Nur das Wort steht auch viele tausende Jahre später noch, wenn Weltreiche zerstört und Paläste längst zu Staub zerfallen sind. Exegi monumentum aere perennius!«
Ein auffordernder Blick traf Tobias. Dieser zog eine leichte Grimasse und übersetzte ohne langes Überlegen: »Ein Denkmal schuf ich, dauerhafter als Erz.«
»Und von wem stammt
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