Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
noch in den Kinderschuhen. Zu leicht konnte sich die papierverkleidete Hülle entzünden und das Feuer dann auch auf die Strohvorräte auf der Galerie übergreifen, mit denen ja während des Fluges nachgeheizt werden musste, wenn die Luft im Ballon abkühlte und er zu sinken drohte.«
Tobias hörte aufmerksam zu. Alles, was Onkel Heinrich über den Ballonflug erzählen konnte, interessierte ihn brennend. Denn bald würde auch er zu den Navigatoren der Lüfte zählen und hoch über Städten und Wäldern in einer kleinen Gondel stehen, über sich nur die Hülle des Ballons und den Himmel!
»Aber nicht allein für den Navigator und alle anderen Passagiere an Bord bestand Todesgefahr«, fuhr Heinrich Heller fort, während Bretzenheim linker Hand an ihnen vorbeizog und es nun nicht mehr weit bis zu den vorgeschobenen Bastionen der Mainzer Festung war. »In Gefahr waren auch die Stadtviertel, Paläste und Kirchen auf der Flugroute, ja sogar die Felder der Bauern und ihre Gehöfte, wenn der Ballon zu einer Feuerfackel wurde und abstürzte.«
An diesen Aspekt des Ballonfluges hatte Tobias bisher noch keinen Gedanken verschwendet und ihm wurde nun etwas mulmig zu Mute. »Willst du deinen Ballon auch mit Heißluft fliegen?«
»Gott bewahre, nein!«, rief dieser aus. »Dafür ist mir mein Leben, auch wenn es sich schon stark seinem Ende zuneigt, doch noch zu teuer. Wenn mir keine andere Wahl blieb, nun, dann wäre ich versucht, das Risiko auf mich zu nehmen. Aber es gibt ja etwas Sicheres als ein offenes Feuer unter dem Ballon. Der Falke, so werde ich unseren Ballon taufen, wird mit Gas gefüllt, mein Junge.«
»Brauchst du etwa dafür die Fässer mit Eisenspänen und die Säure?«
»Du hast es erraten. Eisenfeilspäne und Vitriolsäure erzeugen ein Gas, das nur halb so schwer ist wie Luft. Das werden wir verwenden.«
Tobias nickte zufrieden und beruhigt. »Und was ist aus den beiden geworden, Rozier und d’Arlandes?«
»Na, wenn es nach dem Willen von König Ludwig gegangen wäre, hätten nicht sie den ersten Flug angetreten, sondern zwei Schwerverbrecher.«
Tobias sah ihn verständnislos an. »Schwerverbrecher? Aber warum denn das?«
»Mein Junge, noch nie zuvor war ein Mensch mit einem Ballon aufgestiegen, ohne dass er von Seilen gehalten wurde. Und niemand vermochte zu sagen, wie der Flug ausgehen und ob Menschen so weit oben überhaupt am Leben bleiben würden«, gab sein Onkel zu bedenken. »Deshalb sollten zwei zum Tode Verurteilte den ersten freien Aufstieg wagen und dafür nach geglücktem Versuch begnadigt werden.«
»Ganz schön gemein«, urteilte Tobias.
»Freiwillige gab es genug, denn wem der Tod sowieso gewiss ist, greift auch nach dem kleinsten Strohhalm. Aber Rozier und d’Arlandes protestierten heftig gegen diesen Vorschlag. Zwei zum Tode Verurteilte sollten die ersten Luftfahrer werden und zu unsterblichem Ruhm gelangen? Unmöglich! Nicht mit ihrem Ballon Le Reveillon!«
»Das Erwachen …! Na, das wäre für die beiden wirklich ein schönes Erwachen aus ihren Träumen von Ruhm und Ehre gewesen«, meinte Tobias belustigt.
»Ja, das sagten sie sich auch und setzten Himmel und Hölle in Bewegung, vor allem aber ihre einflussreichen Freunde bei Hof, um den Monarchen umzustimmen. Sie packten ihn bei seiner Ehre. Sollte ganz Europa Zeuge werden, wie zwei gemeine Verbrecher in den Himmel aufstiegen, anstatt diesen Schritt in eine neue Epoche der Menschheitsgeschichte zwei Adligen wie dem Marquis und Rozier zu überlassen, wie es die Ehre verlangte? Nun, sie hatten Erfolg. Nach einer Audienz gab der König seine Zustimmung. Und noch im selben Jahr, am 21. November 1783, fand der Start in den Gärten des Schlosses La Muette statt. Fünfundzwanzig Minuten hielten sie sich in der Luft, schwebten über ein fasziniert nach oben starrendes Paris und die Seine hinweg und vollbrachten eine sanfte Landung am Wachtelberg in der Nähe einer Mühle – ohne Schaden an Leib und Seele.« Er zwinkerte seinem Neffen zu und seufzte. »Ja, es war ein wahrhaft historischer Flug, den sogar Benjamin Franklin als begeisterter Zuschauer erlebte.«
»Der amerikanische Freiheitskämpfer?«, fragte Tobias.
»Ja, und großartige Staatsmann. Franklin, der gefeierte Held der Pariser Gesellschaft, weilte damals in Frankreich, um nach dem erfolgreichen Unabhängigkeitskrieg der amerikanischen Kolonien den Friedensvertrag von Versailles mit den Abgesandten der geschlagenen Kolonialmacht Großbritannien auszuhandeln und zu
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