Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
begrüßte er ihn. »Und der junge Herr ist heute auch mit von der Partie. Na, mich hätt’s auch gewundert, wenn’s nicht so gewesen wäre.« Er schenkte Tobias ein verschwörerisches Augenzwinkern.
Arnold Pagenstecher, der die Mainzer Tuchfabrik für Heinrich Heller leitete, war ein schlanker, hager wirkender Mann in seinen späten Vierzigern mit schütterem Haar, einem gleichfalls hageren Gesicht und sehr wachsam blickenden Augen, denen in der Fabrik und auch sonst wo so leicht nichts entging. Er war noch von Heinrich Hellers Vater eingestellt worden, aber erst nach dessen Tod, nach dreißigjähriger Firmenzugehörigkeit, von Heinrich Heller zum Leiter der Fabrik bestellt worden. Verdientermaßen, wie dieser fand, denn Pagenstechers Geschäftssinn und Kenntnisse standen denen seines seligen Vaters in nichts nach.
Und auch das gegenseitige Vertrauen war gegeben. Sonst hätte er ihn auch nicht mit dieser verantwortungsvollen Reise nach Frankfurt und der Überwachung der Ballonherstellung und der Gondel betraut.
Heinrich Heller tauschte ein paar nichts sagende Höflichkeiten mit ihm aus, während sie in den Lagerschuppen mit den schweren Holzregalen gingen und Jakob Weinroth das Fuhrwerk vor den Eingang lenkte.
»Was haben Sie ihnen in Frankfurt für eine Geschichte aufgetischt?«, erkundigte sich Heinrich Heller.
Pagenstecher lachte vergnügt. »Oh, etwas von einem zu Tode gelangweilten Adeligen in Darmstadt, der der Jagd, üppiger Tafelfreuden und ausschweifender Feste überdrüssig geworden ist und nicht weiß, womit er sich und seinen Freunden einen bisher noch nicht genossenen Reiz schenken kann. Bis er dann auf die Idee mit dem
Ballon gekommen ist.«
Der Gelehrte schmunzelte amüsiert. »Nicht schlecht, wirklich nicht schlecht. Und hat man Ihnen diese Geschichte auch abgenommen?«
»Ich bitte Sie! Ein schwarzer Ballon! Auf so eine verrückte Idee kann doch nur ein zu Tode gelangweilter Adliger mit zu viel Geld kommen.«
Sie lachten, auch Tobias, der den dürren Pagenstecher ganz nach seinem Geschmack fand.
»Aber das Emblem?«, wandte sein Onkel dann ein, während Pagenstecher sie den Mittelgang hinunterführte und dann die Doppeltür zu einem kleineren Lagerraum aufschloss. »Das müsste sie doch stutzig gemacht haben. Die Farben entsprechen doch nicht gerade der Geisteshaltung eines übersättigten Adligen.«
»Da habe ich ganz allein Hand angelegt, als alles andere schon fertig war, und ich verstehe mich darauf noch immer so gut wie die beste Näherin«, erklärte Pagenstecher nicht ohne Stolz.
Heinrich Heller nickte zufrieden. »Trefflich gemacht. Ich wusste, dass diese Sache bei Ihnen in den besten Händen liegen würde.«
»Was nun die Reisekosten betrifft …«, begann Pagenstecher mit sichtlichem Unbehagen.
»Später, später!«, wehrte Heinrich Heller ab. »Ich weiß, dass Sie keinen Kreuzer ausgegeben haben, der nicht nötig gewesen wäre. Das soll Sie also nicht bedrücken. Und nun zeigen Sie uns den Falken!«
»Selbstverständlich! Bitte, hier entlang!«
Tageslicht fiel durch ein vergittertes Fenster in den separaten Lagerraum, der zurzeit leer war – bis auf einen scheinbar dicken Ballen Segelleinwand, der gut fünf Schritte in der Länge und drei in der Breite maß und Tobias bis an die Brust reichte. Doch die derbe Segelleinwand verbarg nur den kostbaren Schatz, der sich darunter befand.
Pagenstecher öffnete mehrere Schnüre auf der Oberseite, schlug die Leinwand zurück – und enthüllte schwarze Seide. Es war ein herrlich glänzender, satter Schwarzton. Schwarz waren auch die starken Kordelschnüre, die den Ballon als Netz überzogen und an dessen unterem, verstärktem Ende die Gondel hängen würde.
Die Hülle des Falken!
Pagenstecher trat zurück. Wortlos, aber mit einem verstehenden, stolzen Lächeln in den klaren Augen.
Heinrich Heller strich mit den Fingerspitzen über die Ballonseide und lächelte entrückt. Erst nach einer ganzen Weile sagte er zu Tobias: »Komm her und fühl es. Innen Taft und außen Seide. Falkenhof wird einen prächtigen Ballon sein Eigen nennen können!«
Andächtig strich nun auch Tobias über den kühlen, glatten Stoff. Er fühlte sich so dünn unter seinen Fingern an, dass er nicht begreifen konnte, wie der Stoff die Belastung aushalten und sie samt Gondel und Ballast in die Luft heben sollte.
»Tausendzweihundert Quadratmeter Seide und Taft, mein Junge«, erklärte sein Onkel.
»Der allerersten Wahl!«, warf Pagenstecher ein.
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