Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
Wuchs, mit Halbglatze und einem schmallippigen Gesicht, trug einen schlecht sitzenden Anzug – und einen Ausdruck grimmiger Zufriedenheit.
»Du kennst den Mann, den sie da abführen?«, fragte Tobias.
»Flüchtig. Ein Schullehrer. Die anderen beiden kenne ich fast noch besser. Auf jeden Fall besser, als mir lieb ist«, murmelte Heinrich Heller leise und voller Ingrimm. »Polizeisekretär Zehlbach tut nur seine Pflicht, wenn auch gewiss nicht widerwillig. Gefährlich ist der andere, der kleine Glatzkopf mit dem verkniffenen Gesicht. Das ist der Bluthund Pizalla!« Ei spuckte den Namen förmlich aus. »Franz Xaver Pizalla! Er gehörte dieser Bande von Gesinnungsschnüfflern von der Mainzer Centraluntersuchungskommission an. War seines Zeichen Kurator und hat so manchen hinter Schloss und Riegel gebracht, der es gewagt hat, einen freien Gedanken zu äußern. Und er tut’s immer noch! Der arme Riebel!«
»Gehört er auch zum …«, Tobias unterbrach sich noch gerade rechtzeitig, um das Wort »Geheimbund« nicht auszusprechen, »… zu deinen Freunden?«
»Gott bewahre, nein«, antwortete sein Onkel fast erschrocken und ging langsam weiter.
Der verhaftete Schullehrer stieg in die wartende Kutsche, gefolgt vom Polizeisekretär. Die beiden Gendarmen stellten sich hinten auf das Trittbrett und umfassten die Haltegriffe. Xaver Pizalla hatte seinen Fuß schon auf der Trittstufe, als er den weißhaarigen Professor auf der Straße bemerkte. Ein merklicher Ruck ging durch seinen kleinwüchsigen Körper und er fasste ihn scharf ins Auge. Der Blick, den er ihm über die Köpfe der anderen Schaulustigen hinweg zuwarf, hatte etwas Hasserfülltes, Phanatisches – und Drohendes. Tobias sah, dass sein Onkel dem Blick des ehemaligen Kurators standhielt, ja ihn mit kaum verhohlener Verachtung erwiderte, und ein flaues Gefühl machte sich in ihm breit, das nicht vom Hunger herrührte. Der Hass, den er da sah, machte ihm Angst.
Xaver Pizalla hob seinen Spazierstock und deutete in eine knappen, zornigen Bewegung auf Heinrich Heller. Dann wandte er sich jäh um, stieg in die Kutsche und schlug den Schlag heftig zu.
»Komm weiter!« Die Stimme seines Onkels klang hart und gepresst.
»Was hat er damit gemeint?«, fragte Tobias besorgt, als sie die Schaulustigen hinter sich gelassen hatten, die auf die Geste von Pizalla hin sofort alle zu seinem Onkel gestarrt hatten.
»Ach, mach dir darüber keine Gedanken, mein Junge. Die lächerliche Geste eines geltungsbedürftigen Mannes. Nichts weiter.«
»Aber er kennt dich – und hasst dich. Das habe ich ihm deutlich angesehen!«
»Hass, nun ja … Sagen wir mal so: Uns verbindet unsere Gegensätzlichkeit«, antwortete Heinrich Heller und war um einen leichten Tonfall bemüht. Ohne Zweifel wollte er die ernste Bedeutung des Vorfalls herunterspielen. »Er ist der Speichellecker einer auf Duckmäusertum bedachten Weltanschauung – und ich bin ein kleiner Störenfried, das Sandkorn im Getriebe der Großen.«
»Aber er kann dir gefährlich werden, nicht wahr?«
Heinrich Heller legte ihm wieder seinen Arm um die Schultern. »Mein Junge, alles und nichts kann dem Menschen auf Gottes Erde gefährlich werden. Ich kann mir auch das Genick brechen, wenn ich morgens aus dem Bett steige. Und ein unbedachtes Wort kann einen unvorsichtigen Mann genauso lebensgefährlich treffen wie ein lockerer Dachziegel.«
»Du musst dich also vor diesem Pizalla in Acht nehmen, nicht wahr?«
Sein Onkel lachte auf, doch es war kein Lachen, das frei von Herzen kam. Es hatte einen bitteren Beiklang. »Es ist nie falsch, Umsicht an den Tag zu legen. Weißt du, was Sadik jetzt an meiner Stelle gesagt hätte? Er hätte Mohammed zitiert mit den Worten: ›Vertraue auf Allah – aber binde zuerst deine Kamele an!‹ So, aber nun vergiss den Burschen und lass uns nicht mehr darüber reden. Da drüben ist ja schon das Gasthaus!«
Der dunkle, rauchgeschwängerte Schank- und Speiseraum mit seiner niedrigen Balkendecke und den gewölbten Butzenscheibenfenstern war schon gut besucht. Sie bestellten und das Essen erwies sich in der Tat als äußerst herzhaft und in den Portionen großzügig bemessen.
Doch der große Hunger, den er bis dahin noch gespürt hatte, war Tobias vergangen, sodass er nur zwei der vier saftigen Knödel aß und auch ein dickes Stück Braten auf dem Teller liegen ließ.
Es kam bei Tisch auch kein rechtes Gespräch zwischen ihnen auf, weil sein Onkel mit seinen Gedanken doch noch bei Riebel und Pizalla
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