Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
Hälfte des Sturzes hinter sich gebracht hatte: ›Na, bis jetzt ist ja noch alles gut gegangen‹.«
»Doch am Ende der zweiten Hälfte brach er sich natürlich das Genick«, sagte Tobias, erheitert über die Verbindung, die Sadik zwischen dieser Geschichte und ihrem Ballon herstellte.
»Allerdings«, bestätigte Sadik.
»Er hätte eben einen Ballon haben müssen«, zog Tobias ihn auf, der für Sadiks Schwarzmalerei nur Belustigung übrig hatte. Nur weil der Koran keine Ballons erwähnt! Die Gebrüder Montgolfier und Rozier und d’Arlandes hatten bestimmt nicht erst im Koran nachgeschlagen, bevor sie in ihren Ballon gestiegen waren!
Sein Onkel kehrte Augenblicke später mit Pagenstecher und zwei kräftigen Arbeitern zurück. Er wandte sich an Sadik und Jakob. »Ihr ladet … das Segeltuch auf das Fuhrwerk. Doch gebt gut Acht!«, trug er ihnen auf, zog dann ein versiegeltes Schreiben aus seiner Jacke und reichte es dem Stallknecht. »Wenn ihr mit dem Laden fertig seid, bringst du das hier dem Mechanikus Johann Reitmaier. Du findest seine Werkstatt Auf der Rose. Kennst du die Gasse?«
Jakob nahm das Schreiben mit einem Nicken entgegen.
»Prächtig! Sag ihm, er soll sich damit beeilen … und dass ich eine schnelle Anfertigung entsprechend honorieren werde.«
Wieder nur ein Nicken.
»Dann macht euch an die Arbeit«, sagte er gut gelaunt, legte seinen Arm um Tobias’ Schulter und trat mit ihm hinaus auf den Hof. »Und wir beide werden uns derweil ein wenig in Mainz verlustieren!«
Drohung eines Bluthundes
Höchst befriedigt mit Pagenstechers Abwicklung des geheimen Projektes, schlenderte Heinrich Heller mit seinem Neffen die Große Bleiche hinunter. Gelegentlich blieb er vor einem Geschäft stehen, um sich die Auslagen anzusehen, oder wechselte ein paar freundliche Worte mit Bekannten, die er zufällig auf der Straße traf.
Sie wandten sich nun in Richtung Dom, und während sie in die Straße Am Schießgarten abbogen und dann die Hintere Judengasse hinunterspazierten, erzählte Heinrich Heller Tobias von verschiedenen Experimenten, die er mit dem Ballon vorzunehmen gedachte. Es handelte sich insbesondere um Messungen von Magnetismus, Elektrizität und Temperaturveränderungen mit wachsender Höhe sowie der Besonderheiten der oberen Luft, die noch längst nicht zur Zufriedenheit ernsthafter Wissenschaftler erforscht sei, von meteorologischen und astrologischen Möglichkeiten sowie neuen Methoden der geografischen Vermessung, die ein solcher Ballon bot.
Tobias verstand kaum die Hälfte von dem, was sein Onkel ihm in seiner Begeisterung in den leuchtendsten Farben und mit vielen Fachausdrücken an den Himmel der Wissenschaft malte. Aber er zeigte sich interessiert und hörte ihm geduldig zu, weil dieser sich an den schier grenzenlosen Möglichkeiten berauschte – und an seinen eigenen Worten.
Als sie auf den Platz am Flachsmarkt kamen, drang ihnen der Duft gebratenen Fleisches in die Nase, und Heinrich Heller unterbrach seine wissenschaftlichen Ausführungen mit der mehr erdverbundenen Bemerkung: »Ah, so ein bemerkenswerter Tag macht Hunger. Zumindest geht es mir so. Wir sollten uns nachher eine Stärkung genehmigen, denn vor dem Nachmittag werden wir nicht auf Falkenhof sein. Was hältst du von einer guten Portion Knödel mit Schweinebraten?«
Tobias lachte. »Sehr viel!« Jetzt, als sein Onkel vom Essen sprach, meldete sich auch sein leerer Magen. Viel hatte er ja zum Frühstück nicht hinuntergebracht.
»Im Gasthaus Zum Goldenen Karpfen. Auf dem Brande führt der Leopold Haas eine ausgezeichnete Küche. Da werden wir einkehren, mein Junge«, sagte Heinrich Heller und beschleunigte seine Schritte.
Doch Augenblicke später, sie befanden sich auf der Quintius-Gasse, stutzte Heinrich Heller plötzlich und blieb fast abrupt stehen.
»Was ist?«, fragte Tobias.
Sein Onkel reagierte nicht. »Mein Gott, das ist doch Melchior Riebel!«, stieß er bestürzt hervor.
Tobias folgte der Blickrichtung seines Onkels und sah nun die Kutsche, die zwanzig Schritte vor ihnen hinter einer Toreinfahrt stand. Zwei Gendarmen waren vor der daneben liegenden Haustür postiert, aus der gerade ein junger Mann trat, bleich das Gesicht, doch den Kopf aufrecht erhoben und das Gesicht eine Miene des Trotzes. Es war offensichtlich, dass er das Haus nicht aus freien Stücken verließ, denn er wurde von zwei Männern flankiert. Einer von ihnen trug die Uniform eines Polizeisekretärs. Der andere, von kleinem untersetztem
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