Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
der Stimme ihrer Fieberschreie und Fieberträume unterschied sie sich sehr.
»Du hast einen Unfall gehabt«, antwortete Tobias rasch.
»Unfall?« Dann schien sie sich zu erinnern. »Ja, die Kutsche … mit den schwarzen Pferden.«
»Das war Graf Prettlachs Kutsche. Er hat dich von der Straße gedrängt, und du bist vom Kutschbock geschleudert worden, als dein Wagen die Böschung hinuntergerutscht ist. Jetzt bist du bei uns – auf Falkenhof «, setzte er rasch hinzu.
»Unsinn«, flüsterte sie.
»Nein, das ist kein Unsinn. Falkenhof heißt das Landgut meines Onkels. Wir waren direkt hinter dir, als es passiert ist, und haben dich …«
»Wo … ist … Unsinn?«, fiel sie ihm mit angstvoller Stimme ins Wort.
Tobias begriff. »Unsinn? Ist das der Name deines kleinen Affen?«
»Ja … wo …?«
Tobias lachte. »Dem geht es gut. Er liegt neben dir. Gleich neben deiner linken Hand. Er ist die ganzen Tage kaum von deiner Seite gewichen.«
Die Hand des Mädchens tastete über die Bettdecke und stieß dann gegen den Affen, der sich augenblicklich aufrichtete und einen freudigen Laut von sich gab, als sie ihm mit kraftloser Hand ein-, zweimal über das Fell strich. Sie schloss die Augen und seufzte erleichtert.
»Möchtest du irgendetwas zu trinken oder zu essen?«
Ihr Kopf bewegte sich auf dem weißen Kissen kaum merklich hin und her. »Nein … müde … schrecklich müde … nur schlafen. Unsinn … bei mir bleiben«, sagte sie mit fast versiegender Stimme.
»Natürlich darf Unsinn bei dir bleiben. Für den ist gut gesorgt«, versicherte er, und dann fiel ihm ein, dass er sie das Wichtigste überhaupt noch nicht gefragt hatte – nämlich nach ihrem Namen. Wer weiß, wann sie wieder aufwachte! »Verrätst du mir deinen Namen? Ich heiße Tobias.«
Erst glaubte er, sie wäre schon wieder eingeschlafen und hätte seine Frage nach ihrem Namen nicht mehr gehört. Doch dann bewegten sich ihre Lippen.
Er beugte sich zu ihr vor.
»Jana …« Ihre Stimme war wie ein Hauch, in dem dieses eine Wort mitschwang und gleich wieder verklang. »Jana …«
Könige und Bettler der Landstraße
Das Fieber hatte sehr an Janas Kräften gezehrt und ihr Bedürfnis nach Schlaf schien unstillbar zu sein. Es war der Schlaf der Heilung. Erst am Nachmittag des folgenden Tages fand Tobias Gelegenheit, ein richtiges Gespräch mit ihr zu führen. Sadik und sein Onkel hatten strikt darauf bestanden, dass er ihren Schlaf nicht störte, und er durfte immer nur kurz ins Zimmer, um den kleinen Affen Unsinn auszuführen, der seinem Namen überhaupt nicht gerecht wurde – was aber auch niemand bedauerte.
Tobias hatte Lisette an jenem Nachmittag vor der Küche abgefangen und ihr das Tablett mit der Hühnerbrühe und dem trockenen Zwieback mit den Worten »Ich mach das schon!« abgenommen und hatte es dem Mädchen ans Bett gebracht. Ein wenig verlegen und unsicher, aber doch zu begierig, mehr von ihr und über sie zu erfahren, um sich davon abhalten zu lassen.
Jana sah noch immer sehr blass aus, wie sie so in einem von Lisettes hoch geschlossenen Nachthemden halb aufgerichtet im Bett saß, mehrere Kissen im Rücken, und die Suppe löffelte. Manchmal hielt sie inne, sog die Luft scharf ein und verzog das Gesicht.
»Schmerzen?«, fragte Tobias mitfühlend.
Sie nickte. »Es pocht und sticht im Bein, dass ich es bis hier oben fühle.« Sie deutete auf ihre Brust.
»Soll ich Sadik sagen, dass er dir was gegen die Schmerzen gibt?«
»Nein, lass nur. Ich kann es schon aushalten.«
»Er sagt, dein Bein verheilt gut. Die Wunde beginnt sich schon zu schließen. Er hat dir immer Kompressen mit starkem, altem Rotwein gemacht«, berichtete er, nun voller Stolz auf Sadiks medizinische Fertigkeiten. »Er sagt, das beugt einer Vereiterung vor. Und er hat auch eine komische Salbe auf die Verbände geschmiert. Du wirst lachen, wenn ich dir erzähle, aus was diese besondere Heilsalbe besteht.«
»Woraus denn?«
»Sie schaben von den Geschirren ihrer Lastesel und Wasserbüffel ganz besondere Schimmelstoffe ab.«
»Schimmel?«, fragte Jana ungläubig. »Du machst dich wohl über mich lustig!«
»Nein! Wirklich! Er nennt sie … warte mal … Penicilliums und
Aspergillus. Er sagte, das sei das Beste gegen infizierte Wunden! Er hat mir auch erzählt, dass sie Kranken, die eine schwere Halsentzündung haben, den grünlichen Staub von verschimmeltem Brot in den Hals pusten und er dann fast über Nacht wieder gesund wird.«
Jana lachte spöttisch
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