Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
die Masten berührten.
»Ausgezeichnet!«, lobte Heinrich Heller. »Das klappt ja ausgezeichnet. Womit bewiesen wäre, dass Übung den Meister macht! Und nun genauso mit Gefühl wieder ablassen!«
Langsam sank die Plane zwischen den tuchumwickelten Pfosten wieder nach unten.
»So, und jetzt runter mit Wagenrad und Steinen. Wir wollen das Ausklinken üben«, wies Heinrich Heller sie an.
Wenig später stieg die Plane wieder in den sonnigen Märzhimmel über Falkenhof, diesmal aber ohne Gewichte.
»Und jetzt kommt es darauf an, dass alle zur selben Zeit an der Hakenleine ziehen!«, erinnerte der Gelehrte seine Ballonmannschaft. »Auf mein Kommando zieht ein jeder von euch mit einem kräftigen Ruck an der Leine! Aber nicht vergessen, das Zugseil dabei in der Linken straff zu halten! Bereit? … Ja? Bei drei gilt es! Also aufgepasst …« Er begann mit lauter Stimme zu zählen. »Eins … zwei … drei! «
Vier Hände ruckten kräftig an der Hakenleine. Oben an den Masten sprangen die Verschlüsse in ihren Scharnieren auf und die ausgebreitete Plane fiel augenblicklich in sich zusammen und segelte mit flatternden Enden aus der Höhe auf das Bretterpodest hinunter.
Heinrich Heller strahlte. Seine Konstruktion hatte ihren letzten Test mit Bravur bestanden. Er ließ das Hochziehen und gleichzeitige Aufhaken jedoch noch ein gutes Dutzend Mal üben. Nicht ein einziges Mal missglückte es. Jetzt konnte er ihnen die kostbare Hülle des Ballons anvertrauen!
»Das war es, meine Herrschaften!«, rief er schließlich und klatschte in die Hände. »Ich schätze, Falkenhof wird sich bald rühmen können, nicht nur über einen prächtigen Ballon zu verfügen, sondern auch über eine Ballonmannschaft, die keinen Vergleich mit anderen zu scheuen braucht.«
Tobias, Klemens und Jakob nahmen das Lob mit fröhlichem Grinsen entgegen. Am Tag zuvor hatten sie den Startplatz fertig gestellt. Das Wegsenken der Masten hatte sich mit der von Heinrich Heller ausgetüftelten Konstruktion als völlig problemlos erwiesen. Und nachdem die harte Arbeit des Hämmerns, Sägens und Bohrens nun hinter ihnen lag, waren sie mit geradezu überschäumender Begeisterung dabei, sich in der Handhabung der Seilzüge und Reißleinen zu üben. Für sie war die Sache mit dem Ballon eine höchst willkommene Abwechslung im Trott ihrer alltäglichen Arbeit. Nur Sadiks Gesicht zeigte keine Freude, sondern eine Miene düsterer Mahnung. Doch zumindest verzichtete er darauf, seine Bedenken erneut zu äußern. Er hüllte sich in Schweigen und tat, was von ihm verlangt wurde.
Heinrich Heller warf einen Blick auf die Wetterfahne. Sie stand völlig ruhig. Dann verkündete er: »Ich denke, heute Nacht können wir es wagen – den ersten Aufstieg des Falken!«
Tobias stieß einen Freudenschrei aus.
»Freu dich nicht zu früh, mein Junge. Es gibt noch eine Menge Arbeit«, dämpfte Heinrich Heller seine Begeisterung.
»Das macht mir nichts«, versicherte Tobias mit glänzenden Augen. »Aber wie hast du es bloß geschafft, Sadik dazu zu bringen, in unserer Seilmannschaft mitzuarbeiten?«
Sein Onkel schmunzelte. »Oh, es war nicht sonderlich schwierig, ihn zu überreden. Ich ließ nur durchblicken, dass wir wohl auf die Hilfe von Lisette angewiesen sein würden, wenn er sich weigere, einen der Seilzüge zu bedienen. Und diese Vorstellung behagte ihm offensichtlich noch weniger, als selbst mit Hand anzulegen.«
Tobias lachte. »Du bist ja richtig durchtrieben, Onkel!« Denn seit Sadik die Krankenpflege von Jana übernommen hatte, war das Verhältnis zwischen ihm und Lisette gespannt. Wenn sie auch kein Wort in ihrer Gegenwart darüber verlor, so brachte ihre ganze Haltung ihm gegenüber doch klar zum Ausdruck, wie unmoralisch sie diesen Zustand fand. Tobias hatte einmal gehört, wie sie ihrer Entrüstung bei Agnes in der Küche Luft verschafft hatte: »Sie ist zwar bloß eine Zigeunerin, aber dennoch gehört es sich nicht, dass er an ihr herumtastet und sie so nackt sieht! Bis hoch zur Hüfte ist die Herumtreiberin doch entblößt, wenn er ihren Oberschenkel untersucht. Ich würde vor Scham im Boden versinken, wenn ich an ihrer Stelle wäre! Aber sie stört das wohl nicht, dass sie sich vor ihm so entblößen muss. Na ja, Zigeuner und Heiden!«
Tobias war damals versucht gewesen, Lisette wegen ihrer lästerlichen Unterstellung zur Rede zu stellen. Aber Agnes hatte ihr schon die passende Antwort gegeben, und er hatte sich gesagt, dass es weder seine Aufgabe war, Lisette
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