Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
zusammenzustauchen, noch dass ein Tadel etwas an ihrer inneren Einstellung ändern würde. Und so hatte er sich wieder von der Tür geschlichen und auch seinem Onkel nichts davon erzählt. Der wusste sowieso, wie Lisette dachte.
»Was heißt hier durchtrieben, Tobias?«, gab sich Heinrich Heller jetzt leicht entrüstet, doch der verschmitzte Ausdruck seiner Augen verriet seine Belustigung. »Ich habe ihn doch nicht gezwungen, sondern ihm nur die Alternative genannt.«
»Eine für ihn nicht akzeptable Alternative!«
Sein Onkel nickte und sagte vergnügt: »Ja, das schien mir auch so, denn er sagte nur: ›Frauen sind wie Heuschrecken: Nichts ist zu bitter für ihre Zähne!‹ und ›Ich werde am Seil stehen, Sihdi.‹«
»Ja, das klingt ganz nach Sadik Talib.«
»Hilf beim Aufräumen«, sagte Heinrich Heller und wandte sich wieder den Dingen zu, die ihm wichtiger erschienen als Sadiks zwiespältiges Verhältnis zu Frauen. »Und dann fangen wir an, die Eisenfeilspäne umzufüllen und die Säure im rechten Verhältnis zu mischen.«
Sie waren den ganzen Nachmittag damit beschäftigt. Die Fässer erhielten zudem einen neuen Deckel, der zwei verschieden große Öffnungen aufwies: eine für das Nachfüllen der Eisenspäne und der Vitriolsäure und eine kleinere, an der das Rohr angeschlossen wurde, durch das das sich im Fass entwickelnde Gas austreten und in die Ballonhülle fließen konnte. Acht dieser Fässer standen schließlich um den Startplatz verteilt, an jeder Seite zwei. Die Rohre liefen in der Mitte auf dem Bretterpodest in einer Kugel zusammen, die unten flach war, sodass sie einen festen Halt auf den Brettern fand, und an ihrem oberen Ende einen langen Schornsteinaufsatz hatte. Durch dieses dicke Rohr würde das in die Kugel von acht Seiten einströmende Gas gebündelt in den Ballon aufsteigen.
Als all diese Vorbereitungen getroffen waren, setzte die Dämmerung schon ein, und Tobias fand erst jetzt Zeit, für eine halbe Stunde zu Jana aufs Zimmer zu gehen. Seit dem Vormittag war er nicht mehr bei ihr gewesen.
Sie hatte ihn schon vermisst. »Ihr seid ja heute alle sehr beschäftigt auf dem Hof«, sagte sie mit Bedauern, aber auch mit Neugier in der Stimme.
»Ja, es gibt eine Menge Arbeit, und Onkel Heinrich treibt uns ganz schön an. Er nimmt es mit seinen Experimenten sehr ernst und das Wetter ist ideal für seine – Beobachtungen«, sagte Tobias vage.
»Und was sind das für Beobachtungen?«
»Ach, Messungen von Luftströmungen und Luftdichte und so. Er will auch astrologische Berechnungen anstellen, wenn es Nacht ist. Ich versteh selbst nicht viel davon, aber er hat versprochen mich einzuweisen«, sagte Tobias und wechselte schnell das Thema. »Wie hat dir denn der Roman gefallen?« Er hatte ihr den »Robinson Crusoe« zum Lesen gebracht.
»Ganz toll. Ich hab richtig mitgezittert, als die wilden Eingeborenen am Strand aufgetaucht sind und ihren schrecklichen Festschmaus abgehalten haben.« Sie schüttelte sich. »Aber ich hab ihn nicht aus der Hand legen können, bis ich ihn aushatte, obwohl ich schon todmüde war.«
»Dann bring ich dir den ›Ivanhoe‹. Kennst du den schon?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ist das auch so was wie der Robinson?«
»Nein, das ist ein Ritterroman. Den hab ich auch an einem Stück verschlungen. Dir wird er bestimmt auch gut gefallen. Wie geht’s denn deinem Bein heute?«
»Schon besser. Die Schmerzen haben nachgelassen. Aber dafür juckt es schrecklich unter dem Verband, dass ich mich dauernd kratzen könnte. Aber Sadik meint, das wäre ein gutes Zeichen. Die Wunde verschorft und der Schorf zieht die Haut zusammen, und davon kommt das Jucken. Aber kratzen möchte ich mich trotzdem!«
Tobias lachte mit ihr.
»In ein paar Tagen kann ich vielleicht schon aufstehen«, fuhr Jana fort und seufzte sehnsüchtig. »Es wird auch Zeit. Allmählich halte ich es nicht länger im Bett aus. Ich war noch nie richtig krank und es macht mich richtig kribbelig, dass ich nichts tun kann. Noch nicht mal auf den Bauch drehen kann ich mich. Na ja, immerhin ist Sadik schon dabei, mir Krücken anzufertigen.«
Tobias fuhr zusammen. » Was tut er?«, stieß er ungläubig hervor.
»Er fertigt für mich Krücken an. Aber warum bist du so erstaunt darüber?«, fragte sie, verwundert über seine fast erschrockene Reaktion.
»Ich erstaunt? Ja, also – ich«, stammelte er und suchte fieberhaft nach einer vernünftigen Ausrede. »Ich hätte das Sadik einfach nicht zugetraut.«
»Wieso
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