Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
nicht dich trifft!«, stieß er aufgebracht hervor und ging-
»Nimm es nicht so tragisch!«, rief ihm Sadik vergnügt nach. »Manchmal gibt Allah eben Nüsse und Mandeln dem, der keine Zähne hat.«
Als Tobias seinem Onkel von den Krücken erzählte und sich darüber beklagte, lächelte dieser nur und sagte mit einem Achselzucken: »Wir werden es nun mal genauso akzeptieren müssen, wie er meine Entscheidungen hinnehmen muss. Aber lass dir deshalb keine grauen Haare wachsen. Der Falke ist keine Eintagsfliege.«
Beim Abendessen waren die Krücken kein Gesprächsthema, das hatte ihm Heinrich Heller freundlich, aber bestimmt zu verstehen gegeben. Tobias war daher sehr schweigsam, während sich Sadik nicht das Geringste anmerken ließ. Er unterhielt sich angeregt mit Heinrich Heller, was Tobias’ Groll nur noch stärker entfachte. Und er glaubte zu spüren, dass Sadik ihm immer wieder spöttische Blicke zuwarf. Der Ärger verdarb ihm das ganze Essen, dabei hatte Agnes an diesem Abend etwas ganz Besonderes auf den Tisch gebracht.
Seine Stimmung hob sich erst wieder, als die entscheidende letzte
Phase in den Vorbereitungen zum Ballonaufstieg begann: das Entfalten und Füllen des Falken! Und nun war es Sadik, der seine gute Laune verlor. Es schien, als eiferte er Jakob in seiner Wortkargheit nach, sodass ein Fremder hätte meinen mögen, es auf Falkenhof mit zwei Stummen zu tun zu haben!
Ein Dutzend Lampen beleuchteten den Hof. Heinrich Heller hatte strengstens verboten, dass irgendjemand mit offenem Feuer außerhalb des Hauses hantierte. Er duldete nicht mal eine Kerze, obwohl es windstill war, und hatte zudem noch die Anweisung gegeben, in den Zimmern vorerst kein Holz in den Kaminen nachzulegen. Wer wusste denn, ob nicht vielleicht doch noch ein Wind einsetzte, und dann konnte Funkenflug bei einer Verkettung ungünstiger Umstände eine verheerende Wirkung haben. Brandlöcher in der Hülle des Ballons zählten dabei noch zu den eher harmlosen Beschädigungen, denn das Gas, das ihn füllen würde, war explosiv!
Zu viert schleppten sie nun die zusammengefaltete Hülle des Ballons aus dem Lagerschuppen auf das Startpodest, über das zuvor einfache Leinwand ausgelegt worden war. Die schwarze Seide glänzte wunderbar im Licht der Lampen.
Heinrich Heller legte beim Entfalten der Hülle mit Hand an, und er war beinahe noch aufgeregter als Tobias, der es gar nicht erwarten konnte, endlich den Falken zu sehen.
»Vier tuchumnähte Eisenringe unterhalb der Polkappe! Sie müssen zu den vier Masten hin ausgerichtet werden! … Ja, das ist einer von ihnen, Klemens! … Vorsichtig! … Nicht zu heftig am Tuch reißen.«
»Hier ist noch einer!«, rief Tobias und zog unter den Mengen seidigen Stoffes einen gut handtellergroßen Ring hervor, der in schwarzes Tuch eingenäht war. Er hing in einer besonders verstärkten Schlaufe.
Wenig später waren alle vier Ringe gefunden. Der wirre Haufen aus Stoff und Netz wurde auf dem Podest ausgerichtet und dann klinkten die Haken der Seilzüge in die vier Ringe.
»Mit Fingerspitzengefühl! … Nur mit Fingerspitzengefühl!«, ermahnte sie Heinrich Heller, als sie die Hülle nun langsam hochzogen. »Ja, so ist’s gut! … Gebt dem Netz Zeit, sich zu entwirren! … Ja, prächtig! … Nur weiter so!«
Die Hülle entfaltete sich und stieg in die Höhe, wenn auch schlaff und völlig ohne Form, bis sie wie ein riesiger, unförmiger Sack zwischen den Masten hing, überzogen von einem Netz, an dem sie später die Gondel aufhängen würden. Und nun zeigte sich auch der Falkenkopf. Er war aus dunkelroter Seide gefertigt. Darunter prangten die ineinander verschlungenen Buchstaben HH. Sie waren aus goldenem Stoff.
Schwarz, Rot, Gold!
Die Farben der Burschenschaften und der nationalliberalen Bewegung!
Tobias starrte fasziniert zu dem schwarzen Ungetüm hoch. Auch Klemens und Jakob waren beeindruckt von den Ausmaßen des Ballons, der schon jetzt, in nicht gefüllter Form, den Hof beherrschte.
So rasch es gegangen war, die Hülle hochzuziehen, so lange dauerte es aber, sie auch mit dem Gas zu füllen, das aus den acht Fässern über die Auffangkugel und durch den Schornsteinaufsatz in den Ballon strömte.
Sadik zog sich zurück, denn vorerst gab es nichts mehr zu tun. Auch für Jakob und Klemens nicht. Das Nachfüllen von Vitriolsäure und Eisenspänen nahm Heinrich Heller lieber selber vor.
Tobias wich ihm dabei jedoch nicht von der Seite. Er führte Handreichungen aus und ließ sich dabei das
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