Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
Füßen liegen zu haben? Diese göttliche Stille um uns herum und dieser vogelgleiche Blick, der uns vergönnt ist wie dem Falken in der Nacht? Was für eine Freiheit! Mein Junge, das ist das Leben!«, begeisterte sich sein Onkel, beugte sich in die Nacht hinaus und vollführte mit seinem rechten Arm eine weit greifende Bewegung, als wollte er die Nacht, den Himmel, die unter ihnen liegende Landschaft, ja die ganze Welt in diese Bewegung mit einschließen.
Tobias kannte seinen Onkel kaum wieder. Er, ein vernunftbeherrschter Wissenschaftler und Universalgelehrter, der schon so viel erlebt und gesehen hatte, gebärdete sich ja fast so ausgelassen wie einer von den wortreichen Schaustellern, von denen Jana ihm erzählt hatte.
Er vergaß auf einmal all seine Unsicherheit und stillen Ängste und musste lachen. »Onkel Heinrich! Fall bloß nicht vor Begeisterung aus der Gondel. Das Fliegen ohne Ballon ist noch nicht erfunden worden!«
»Du irrst, mein Junge. Auch das ist schon versucht und mit Erfolg praktiziert worden«, antwortete Heinrich Heller mit ungebrochener Begeisterung, lehnte sich aber nun wieder zurück. »Und zwar von dem tollkühnen Franzosen Andre Jacques Garnerin. Aus tausend Meter Höhe sprang er an einem Fallschirm in die Tiefe – und schwebte heil und unversehrt zur Erde! Das war am 22. Oktober 1797 über Paris.«
»Wir haben aber keinen Fallschirm dabei.«
Heinrich Heller lachte vergnügt. »Nein, nein, der Falke genügt uns voll und ganz, nicht wahr?« Er bückte sich nach der Lampe. »Ich denke, wir steigen noch weiter auf, was meinst du?«
»Du bist hier der Kommandant«, erwiderte Tobias, hatte nun aber auch insgeheim nichts mehr gegen einen weiteren Aufstieg einzuwenden. Dick und prall stand der Ballon über ihnen und die Seile schienen seine Kraft gut bändigen zu können. Was spielte es jetzt noch für eine Rolle, ob sie fünfzig, siebzig oder gar hundert Meter hoch in der Luft standen!
Heinrich Heller zog die Schieber hoch, hielt die helle Lampe über die Gondel und schwenkte sie einmal hin und her. Kaum hatte er die Laterne wieder abgeblendet und in den Holzeimer in der Ecke der Gondel zurückgestellt, als sich der Falke wieder in Bewegung setzte.
Die zweite Etappe ihres Aufstieges kam Tobias schon gar nicht mehr so beunruhigend vor. Das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, stellte sich auch nicht wieder ein. Diesmal genoss er es sogar und verfolgte aufmerksam, wie Falkenhof noch mehr zusammenschrumpfte.
»Ach was, wozu noch lange warten«, sagte Heinrich Heller entschlossen, während sie noch stiegen. »Gehen wir gleich auf hundert Meter!« Und schon im nächsten Moment schwenkte er die Laterne.
Hundert Meter!
Nur von zwei Seilen gehalten!
Kurz schoss es Tobias durch den Kopf, was wohl passieren würde, wenn die Seile rissen. Wie hoch würden sie dann steigen? Auch auf tausend Meter? Und wohin würden sie wohl treiben?
Er stellte seinem Onkel diese Frage.
»Oh, bei der Windstille würde es bestimmt kein Rekordflug werden, was die zurückgelegte Strecke über Grund betrifft. Aber mehrere tausend Meter hoch könnte er wohl schon steigen und da oben würde es mächtig kalt werden. Im Sonnenlicht würde er vermutlich sogar bis ins Nichts aufsteigen, denn der Falke hat eine schwarze Hülle und reflektiert daher die Sonneneinstrahlung nicht. Sie würde das Gas schneller erhitzen, als es sich abkühlen kann.«
»Also ein Flug in den – den Tod?«, fragte Tobias beklommen.
»Theoretisch ja, praktisch nein, denn der Falke verfügt oben am Pol der Hülle über eine Klappe, die man mit dieser Leine hier öffnen kann.« Er deutete auf eine rote Leine, die aus der Öffnung des Ballons zu ihnen in die Gondel herunterhing und um eines der Trageseile gebunden war. »Dann entweicht das Gas und der Ballon sinkt.«
Das fand Tobias sehr beruhigend zu wissen.
»So, und jetzt wollen wir das Ereignis unseres ersten Aufstiegs gebührend feiern, Tobias!«
»Feiern? Womit denn?«
»Mit einem Schluck Champagner, mein Junge! Wie es sich für Jungfernfahrten gehört!«, verkündete sein Onkel fröhlich und brachte aus der bauchigen Ledertasche, in der Tobias nur Messinstrumente vermutet hatte, eine Flasche und zwei in Tücher gewickelte Gläser zum Vorschein. »Es soll doch niemand behaupten können, die Luftschiffer vom Falkenhof wüssten ein solches Ereignis nicht gebührend zu feiern!«
Tobias schüttelte über die fröhlichen Anwandlungen seines Onkels lachend den Kopf. »Aber lass
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