Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
ergeben.
»Wie kommt denn Unsinn in den Hof!«, stieß Tobias verwundert hervor und versuchte das Tier zu packen, doch es entwischte ihm auf den oberen Haltering der Gondelaufhängung.
»Ja, eine gute Frage, mein Junge«, pflichtete sein Onkel ihm bei. »Ich schätze, das verdanken wir Sadiks vorzüglicher Arbeit. Die Krücken sind wohl fertig geworden.«
Tobias schaute zum Westtrakt hinüber – und vor einem der Fenster, die auf den Hof hinausgingen, entdeckte er die Umrisse einer Gestalt. Im nächsten Augenblick war sie verschwunden.
»Jana!«, murmelte Tobias.
»Ja, das Mädchen hat keinen schlechten Augenblick gewählt, um das erste Mal die Krücken zu benutzen«, sagte Heinrich Heller neben ihm mit einem Seufzen. Verärgerung sprach aber nicht aus seiner Stimme.
»Und was jetzt?«
»Ich werde nachher mit ihr sprechen. Aber an der Tatsache, dass sie den Ballon gesehen hat, wird das auch nichts ändern. Wir werden darauf vertrauen müssen, dass sie Stillschweigen bewahrt, wenn sie Falkenhof verlässt.«
»Das tut sie bestimmt!«, versicherte Tobias.
»Ah, kennst du sie schon so gut, ja?«, zog sein Onkel ihn auf.
»Sie mag dich, das weiß ich, und sie würde nichts tun, was dir schaden könnte, Onkel.«
Heinrich Heller fuhr sich über den Bart und ignorierte Sadiks Rufe, ob sie den Ballon wieder herunterziehen sollten. »Soso, das Mädchen mag mich, einen alten grauhaarigen Mann. Das wärmt mir das Herz. Doch mir scheint, dass sie es mehr mit den jungen Männern von Falkenhof hat«, spottete er gutmütig und tat so, als würde er Tobias’ Verlegenheit nicht bemerken. Mit lauter Stimme rief er dann in den Hof hinunter: »Auf was wartet ihr noch? Hoch mit dem Ballon!«
»Aber der Affe!«, schrie Sadik zurück.
»Welchen Affen meinst du?«
»Unsinn natürlich!«, schallte Sadiks grimmige Stimme zurück.
»Was ist gegen einen Affen in einem Ballon einzuwenden, mein Freund? Unsinn ist hier in allerbester Gesellschaft!«, rief Heinrich Heller ihm belustigt zu. »Dies ist kein muselmanischer Ballon, sondern der eines gläubigen Ungläubigen! Also an die Winden, meine Herren, und gleich hoch auf hundert Meter! Allah gebe dir eine ruhige Hand!«
Die Erwiderung erfolgte auf Arabisch, und Tobias musste lachen, als er hörte, wie Sadik sein Pech verfluchte und die Neugier der Frauen. »Schenke einem Weib Vertrauen, und Reue ist dir gewiss!«, hörte er ihn schimpfen.
»Der arme Sadik«, sagte Heinrich Heller amüsiert, als sie ihren Aufstieg nun fortsetzten, mit Unsinn auf dem Ring über ihren Köpfen. »Jetzt ist alles für die Katz gewesen, die ganze Arbeit mit den Krücken. Das genaue Gegenteil hat er damit erreicht. Hätte er sie Jana erst morgen gegeben, wäre sein Plan wohl aufgegangen. Doch jetzt, da sie schon vom Ballon weiß, besteht ja kein Grund mehr, noch etwas vor ihr verheimlichen zu wollen.«
Tobias lachte mit ihm über Sadiks Pech und war gleichzeitig unendlich erleichtert, dass die Geheimniskrämerei nun ein Ende hatte. Er brauchte Jana nicht mehr anzulügen und konnte ihr alles erzählen.
So betrachtet, hatte ihm Sadik mit den Krücken ungewollt einen großen Gefallen getan!
»Darf ich nachher zuerst mit ihr reden?«, bat er.
»Ich werde ihr schon nicht den Kopf abreißen.«
»Trotzdem.«
»Wenn dir so viel daran liegt …«
»Ja, bitte.«
»Na schön, ich hab es nicht so eilig«, sagte Heinrich Heller mit einem verständnisvollen Lächeln.
So aufregend der Aufstieg auch war, so ungeduldig wartete Tobias doch auch darauf, dass es wieder hinunterging. Unsinn erwies sich dabei als große Hilfe. Denn der Ballon und vor allem das ihn überspannende Netz hatten es ihm angetan, und zum ersten Mal, seit er mit Jana auf Falkenhof war, machte er seinem Namen alle Ehre. Er begnügte sich nämlich nicht damit, auf dem Ring herumzuturnen, sondern fand die vielen Leinen höchst einladend, dieses merkwürdige runde Ding über ihm näher in Augenschein zu nehmen.
»Unsinn! … Komm sofort da runter!«, rief Tobias besorgt, als der Affe immer höher kletterte.
Unsinn hüpfte jedoch unter fröhlichem Kreischen auf dem Netz hin und her. Manchmal hing er nur mit einer Pfote am Seil, blickte zu ihnen hinunter und zog Grimassen. Und das in hundert Meter Höhe!
Tobias wusste nicht, was ihm einen größeren Schrecken einjagte: dass Unsinn plötzlich den Halt verlieren und in die Tiefe stürzen könnte oder dass er mit seinen Krallen die Hülle einriss.
Aber alles Rufen und Locken half nichts. Unsinn
Weitere Kostenlose Bücher