Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
eintraf, war es, der das Schicksalsrad in Bewegung setzte. Und zwar mit einem solchen Schwung, dass das Leben aller auf dem Landgut aus der Bahn geworfen wurde. Aber davon ahnte keiner etwas, auch der Mann wohl nicht, der noch zu so später Stunde in einer Kutsche die Allee hochfuhr.
Heinrich Heller saß in seinem Studierzimmer und kam mit seiner Arbeit nicht so gut voran, wie er es sich gewünscht hätte. Ein Grund mochte das Wetter sein. Am Tag zuvor hatte es am Vormittag zu regnen begonnen. Es war kein Sturm, noch nicht einmal ein heftiger Regen. Doch er war beständig und hielt sich nun schon den zweiten Tag, ohne dass er auch nur einmal ausgesetzt hätte. Gleichmäßig strömte er in feinen Fäden vom Himmel, sodass das ganze Land hinter einem grauen, nassen Vorhang verschwamm. Kein Wetter, um mit dem Ballon aufzusteigen.
Tobias war bei Jana im Zimmer und spielte mit ihr Domino. Bisher hatte er nicht einmal gewonnen, und das wurmte ihn insgeheim, auch wenn er es nicht zeigte. Als er Hufschlag hörte, trat er rasch ans Fenster. Er spähte in die regendurchtränkte Dunkelheit hinaus und sah zuerst nur zwei Lichter, die zwischen den Ulmen aufleuchteten und sich rasch näherten. Dann konnte er die Umrisse einer Kutsche erkennen. Zwei Laternen warfen rechts und links vom Kutschbock ihren gelblichen Schein in die regnerische Nacht.
»Eine Kutsche! Da will jemand zu uns!«
»Um diese Zeit?«, fragte Jana verwundert. »Es muss doch schon nach neun sein? Wer unternimmt denn da noch Besuche?«
»Das möchte ich auch gern wissen.« Tobias dachte an Florian Kupferberg und den Geheimbund. »Ich bin gleich wieder zurück! Aber lass die Finger von meinen Steinen!«
Jana lachte. »Weshalb? Ich gewinne ja auch so immer.«
Im Hof erklang der dunkle Ton der schweren Messingglocke, die am Westtor hing und von außen mit einem Seilzug zu betätigen war.
»Das Blatt wird sich schon mal wenden«, erwiderte Tobias und lief auf den Flur hinaus. Als er aus einem der Gangfenster auf den Hof blickte, sah er Jakob mit einer Laterne in der Hand zum Westtor eilen.
Dann platzte er zu seinem Onkel ins Studierzimmer und rief: »Da kommt jemand! Eine Kutsche!«
»Ja, mir war auch so, als hätte ich so etwas gehört«, sagte Heinrich Heller mit einem Stirnrunzeln.
»Erwartest du noch jemanden?«
»Nein, nicht dass ich wüsste«, erklärte sein Onkel, zog seine Uhr aus der Westentasche und ließ den Deckel aufschnappen. »Zwanzig vor zehn. Nicht gerade eine christliche Zeit. Dann muss es sich um irgendetwas Dringendes handeln. Wer es wohl sein mag?«
»Vielleicht ein Bote von Kupferberg?«, fragte Tobias leise.
»Gott bewahre, mein Junge! Das zu so später Stunde würde nichts Gutes bedeuten! Ich hoffe, dass dieser nächtliche Besucher einen weniger beunruhigenden Grund hat, weshalb er um diese Zeit noch auf Falkenhof vorstellig wird«, erwiderte Heinrich Heller mit leichter Beunruhigung in der Stimme. »Na, wir werden es ja gleich wissen.«
Augenblicke später klopfte es und Lisette trat ins Zimmer. Sie hielt ein kleines Silbertablett in der Hand, auf der eine Visitenkarte lag.
»Ein Herr wünscht Sie zu sprechen«, meldete sie und legte kurz den Kopf auf die Seite, als müsste sie noch einmal angestrengt überlegen, was er ihr auszurichten aufgetragen hatte. Dann floss es in einem Strom und mit einem Atem von ihren Lippen: »Er bittet für die späte Stunde seines Besuchs um Entschuldigung. Er sagt, er wäre schon viel früher hier eingetroffen, wenn sich sein Kutscher nicht verfahren hätte. Ja, und dass er ein guter Freund Ihres Bruders ist.«
»Ein Freund meines Vaters?«, stieß Tobias freudig überrascht hervor und blickte erwartungsvoll seinen Onkel an.
Heinrich Heller nahm die Karte vom Tablett, setzte seinen Zwicker auf- und hob die Augenbrauen. »Armin von Zeppenfeld!«, las er laut. »Das ist in der Tat eine Überraschung!«
Tobias hörte den Namen nicht zum ersten Mal. »Gehörte er nicht Vaters letzter Expedition an?«
Sein Onkel nickte. »Das ist richtig. Armin von Zeppenfeld!« Er schüttelte den Kopf. »Lisette, führ ihn zu uns!«
»Wer ist dieser Mann?«, wollte Tobias rasch wissen, als Lisette das Zimmer verlassen hatte. »Vater hat mir nicht viel über ihn erzählt.«
»Das hat seine Gründe, mein Junge. Ich glaube, die Freundschaft der beiden hat auf der Nil-Expedition stark gelitten – um es höflich auszudrücken.«
»Du meinst, sie haben sich zerstritten?«
»So ist es«, bestätigte Heinrich
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