Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
Gänsewiese.
Schließlich nahmen sie die letzte deckungslose Strecke in Angriff. Knappe zwei Meter waren es noch, als Tobias plötzlich das entsetzliche Gefühl hatte in ein Unterwasserloch zu stürzen. Er war etwas versetzt zu Sadik gegangen – und in eine Mulde im Grund geraten. Da er schon bis zum Kinn eingetaucht gegangen war, versank er nun völlig – und ein Schwall Wasser schoss ihm in den Mund, den er vor Schreck unwillkürlich aufgerissen hatte.
Er ließ die Eimer los, richtete sich in einem Anflug von Panik auf, durchbrach die Oberfläche und hätte mit Sicherheit lauthals gespuckt und gehustet – wenn Sadik nicht gewesen wäre.
Der Araber handelte geistesgegenwärtig. Er fuhr herum, als er den erstickten Laut hinter sich vernahm. Und als Tobias wieder auftauchte und loshusten wollte, verschloss er ihm von hinten mit einer Hand
Mund und Nase, riss ihn an sich und zerrte ihn zwischen das Schilf. Fast begrub er ihn unter sich, als Tobias nach Atem rang und um sich treten wollte.
»Tobias! Reiß dich zusammen!«, zischte Sadiks Stimme an seinem Ohr. »Willst du uns verraten?«
Tobias würgte und krümmte sich unter ihm, den Kopf kaum aus dem Wasser. Tränen schossen ihm in die Augen. Doch die Hand seines arabischen Freundes lag wie eine Klammer auf seinem Mund.
Er wird nicht nachgeben, und wenn ich bewusstlos werde! schoss es Tobias durch den Kopf. Ich muss es so schaffen! Ich muss!
Er bot all seine Willenskraft und Selbstbeherrschung auf um das entsetzliche Gefühl des Erstickens zu überwinden und den Würgreiz zu unterdrücken. Angstschweiß brach ihm aus, als ein lautes Geschnatter einsetzte.
Die Gänse! Sie haben uns bemerkt und schlagen Alarm! Ich habe alles verpatzt! ging es Tobias verzweifelt durch den Sinn, und mit einem Mal hatte er sich wieder unter Kontrolle. Zu spät! … Zu spät!
»Hast du es überstanden?«, raunte Sadik hastig.
Tobias nickte und die Hand verschwand von seinem Mund. »Es tut mir leid! Verschwinden wir, so schnell wir können!«, stieß er mit leiser, krächzender Stimme hervor. »Hoffentlich ist Jana noch nicht auf dem Weg!«
»Bleib da liegen! Sie ist schon da!« sagte Sadik hastig. »Allah hat sie uns geschickt, und zwar genau im richtigen Moment!«
Tobias schob den Kopf etwas hoch und hörte nun auch das Rumpeln und Knirschen der Räder, in das sich das Klappern von Töpfen mischte. Jana hatte sie bewusst an die Haken unter dem Boden gehängt, wie Sadik es ihr geraten hatte. Denn es war ihre Aufgabe, die Aufmerksamkeit der Männer im Gasthof auf sich zu ziehen und sie in dem Glauben zu wiegen, das Nähern des Wagens hätte die Gänse aufgeschreckt. Zeppenfeld und seine Komplizen waren ihr noch nie begegnet, so dass man sie nicht mit Tobias in Verbindung bringen würde. Sie war einfach nur eine Landfahrerin, die sich den Gästen des Gasthofes als Kartenlegerin anbot um eine warme Mahlzeit zu erhalten. Sie würde sich auch nicht so schnell abwimmeln lassen um ihnen so viel Zeit wie möglich zu verschaffen. So hatten sie es abgesprochen.
Drei der Eimer und das Bündel mit den Schuhen waren zwischen das Schilf getrieben. Sadik watete hastig aus dem Schutz der Gräser um den vierten Eimer und das Strohbündel mit dem Florett zu holen,
die einige Armlängen von ihnen entfernt schwammen.
»An die Arbeit!«, sagte Sadik leise, als er beides in Sicherheit gebracht hatte.
Dem Geräusch nach zu urteilen bog Jana mit ihrem Wagen jetzt auf den Hof ein. Eine Tür schlug und sie hörten zwei Stimmen. Eine Männerstimme und die von Jana, doch was vor dem Haus gesprochen wurde, konnten sie nicht verstehen.
Sadik und Tobias griffen in ihre Eimer und warfen die Brotstücke, so schnell sie konnten, über das Schilf auf die dahinter liegende Wiese. Und die Gänse stürzten sich mit einem wahren Heißhunger auf die unerwartete Futterzuteilung. Es war Brot genug, dass keine zu kurz kam.
»Sag ihr, sie soll endlich verschwinden, sonst helfen wir euch!«, hörten sie wenig später eine barsche Stimme rufen.
»Stenz!«, stieß Tobias gedämpft hervor. Und obwohl er gewusst hatte, dass sich er und Zeppenfeld und wohl auch die anderen beiden im Gasthof versteckt hielten, fuhr ihm doch der Schreck in die Glieder.
Sadik nickte. »Beeil dich! Uns bleibt nicht mehr viel Zeit!«
Ihre Eimer waren leer, als Jana ihren Wagen auf dem Hof wendete und ihn zurück auf die Landstraße lenkte. Sie fuhr in Richtung Rheinbrücke und bald hatte die Nacht sie wieder verschluckt.
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