Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
verschiedenster Schornsteine wie die zusammengeschossenen Masten einer bunt zusammengewürfelten Armada in den Himmel strebten. Paris war ein unergründliches Straßenlabyrinth, das im Unrat und Gestank seiner Bewohner versank, eine Stadt mit gut achthunderttausend Einwohnern, die bei Tobias den Eindruck erweckte ein einziges unüberschaubares Tollhaus zu sein.
»Augenklappe« greift ein
»Was für eine zum Himmel stinkende Stadt!«, stieß Tobias voller Abscheu hervor, als sie an einem zerlumpten Mann vorbeifuhren, von dem ein ekelhafter Gestank ausging. Er trug eine große Kiepe auf dem Rücken und kaufte offenbar Hasenfelle auf, wie seine kehligen Rufe »Peaux de Lapin! Peaux de Lapin!« verrieten. »Dagegen roch die Kloake auf Falkenhof geradezu wie kostbarer arabischer Balsam!«
»Und was für eine Hitze!«, stöhnte Jana, die sich von der Stadt genauso abgestoßen fühlte wie er.
»Aiwa, Paris hat es in sich«, pflichtete Sadik ihnen mit einem spöttischen Lächeln bei. »Doch ihr kennt Cairo noch nicht.«
»Na, schlimmer als hier kann es auch da kaum sein«, zweifelte Tobias.
»Wer Kamel und Pferd nicht kennt, hält den Esel schon für das beste Reittier«, entgegnete Sadik mit einer seiner Spruchweisheiten.
Tobias wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Mag sein, Sadik«, brummte er missmutig. »Doch mir würde es jetzt schon reichen, wenn wir den richtigen Weg zur Rue Bayard kennen würden. Ich habe nämlich den dumpfen Verdacht, dass wir immer mehr in die Irre fahren und vielleicht gar nicht mehr aus diesem stinkigen Labyrinth herauskommen. Denn dass Monsieur Roland in einem solchen Viertel wohnen soll, kann ich nicht glauben.«
Jana nickte. »Ich auch nicht.«
»Hasib! Pass auf!«, rief Sadik warnend, als vor ihnen plötzlich ein Wasserträger aus einer schmalen Gasse trat und ihren Weg kreuzte. Das hölzerne Joch auf den Schultern und zwei gefüllte Eimer an den Haken, eilte er zu seinem Kunden, der es sich leisten konnte, sich Wasser ins Haus bringen zu lassen.
Der Verkehr vor ihnen geriet ins Stocken und kam zum Erliegen. Nicht wegen des Wasserträgers, der längst die andere Straßenseite erreicht hatte, sondern weil ein klobiges Fuhrwerk weiter oberhalb angehalten und der Kutscher damit begonnen hatte, Fässer vor einer Weinhandlung abzuladen. Die ärgerlichen Zurufe der hinter ihm folgenden Kutschen und Wagen berührten ihn überhaupt nicht. Sie mussten warten, da die Straße zu schmal war um ein Passieren des Fuhrwerkes an dieser Stelle zu ermöglichen.
Tobias erblickte einen Gemüseladen, vor dem Kisten mit Obst standen und dicke Melonen zu einer kleinen Pyramide aufgestapelt waren. Beim Anblick der Melonen lief ihm das Wasser im Mund zusammen. »Ein dickes Stück Wassermelone, das ist jetzt doch genau das Richtige, was meint ihr?«, rief er und deutete zum Gemüseladen hinüber.
»Zeit genug dafür ist ja«, meinte Sadik mit Blick auf das Fuhrwerk. »Wird wohl noch etwas dauern, bis der Bursche seine Fässer abgeladen hat.«
Auch Jana fand, dass das bei der Hitze eine ausgezeichnete Idee war, und Tobias zwängte sich an ihr vorbei, sprang vom Kutschbock und lief zum Geschäft hinüber. Er wählte eine gut gewachsene Melone von der Größe eines Ochsenkopfes und fragte den Händler gleich nach dem Weg.
»Rue Bayard?« Der Mann schüttelte bedauernd den Kopf. »Nie gehört.«
»In der Straße muss es eine Druckerei geben. Sie gehört einem Monsieur Roland, dem Herausgeber der Abendzeitung Le Patriote«, erklärte Tobias in der Hoffnung seinem Gedächtnis mit diesen Angaben auf die Sprünge zu helfen. »Wir wollen zu ihm, doch sind fremd in der Stadt.«
» Le Patriote? Die kenne ich natürlich! Eine gute Zeitung! Madame Picot, die Modistin nebenan, bekommt sie und liest mir regelmäßig daraus vor, und im Café um die Ecke liegt sie auch aus«, teilte der Händler ihm stolz mit und wurde regelrecht gesprächig, als hätten sie festgestellt, dass sie gemeinsame Freunde hatten.
»Aber Sie wissen nicht, wo die Rue Bayard liegt?«, fragte Tobias noch einmal, dem mit dieser Antwort natürlich nicht geholfen war.
»Auf der anderen Seite der Seine, vermute ich mal«, sagte der Gemüsehändler nach kurzem Nachdenken. »Habe mal gehört, dass sich da drüben viele Zeitungen mit ihren Druckereien angesiedelt haben. Aber wo genau das ist, kann ich dir nicht sagen. Bin noch nie auf der anderen Seite gewesen.«
Eine grobe Richtung war immer noch besser als gar keine, fand Tobias
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