Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
Verdacht in Sadiks Frage mitschwang. Er erbleichte. »Mein Gott, du glaubst doch nicht etwa, dass sie Onkel Heinrich …« – er brachte es kaum über sich, dieses schreckliche Wort auszusprechen – »… gefoltert haben?«
»La, ich glaube es nicht, mein Junge. Aber was ich glaube, ist in dieser Situation ohne Bedeutung«, erwiderte Sadik düster. »Was sich hinter Kerkermauern abspielt, ist oftmals die Hölle auf Erden – auch ohne Folter.«
»Nein! Nein, das werden sie niemals wagen!«, stieß Tobias entsetzt hervor. »Nicht mit Onkel Heinrich!«
Sadik legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Es ist nicht Folter, was ich fürchte. Es ist viel mehr die Möglichkeit, dass Zeppenfeld mit Pizalla eine Vereinbarung getroffen hat Falkenhof und seine Bewohner einer intensiven Beobachtung zu unterziehen.«
Dass auch Sadik Folter ausschloss, befreite Tobias von dem kalten Entsetzen, das ihn befallen hatte. »Du meinst, jemand könnte Jakob gefolgt sein?«
»Aiwa, genau das.«
»Aber Jakob ist nicht auf den Kopf gefallen. Er wird damit rechnen und entsprechende Maßnahmen ergreifen.«
»Gewiss, aber mit welchem Erfolg? Jakob Weinroth ist ein tüchtiger Stallknecht, aufrecht und verlässlich. Doch mit Männern wie Zeppenfeld, Stenz, Tillmann und diesem Valdek, von dem du uns erzählt hast, wird er es kaum aufnehmen können. Deshalb sollten wir gerade jetzt größte Vorsicht walten lassen. Sind wir erst auf französischem Boden, können wir uns freier bewegen. Jetzt aber noch nicht.«
Tobias sah ein, wie Recht Sadik damit hatte, und versank in dumpfes Schweigen, während der Regen mit unverminderter Kraft niederging. All die Wochen hatte er sich um seinen Onkel gesorgt und es nicht erwarten können, endlich Nachricht von ihm zu erhalten. Doch regelrecht Angst hatte er nie um ihn gehabt – bis jetzt.
Die Wut des sommerlichen Gewitters verlor allmählich an Kraft. Die letzten Wolken zogen vorbei. Dann brach der Himmel auf und die Nachmittagssonne glitzerte auf dem nassen Laubkleid von Bäumen und Sträuchern, fing sich überall in Regentümpeln und vergoldete auf Feld und Acker schmutzige Rinnsale, die sich in tiefer gelegene Gräben und Mulden ergossen.
»Hoffentlich kehrt Jana bald zurück, damit wir aus den nassen Sachen kommen«, seufzte Tobias und vermied jede unnötige Bewegung.
»Allah scheint dir sein Ohr geliehen zu haben, denn da ist sie schon!«, rief Sadik nicht weniger erleichtert, als er den bunten Wohnwagen zwischen den Bäumen auftauchen sah. Die Räder gruben sich tief in den aufgeweichten Boden der Landstraße.
Sie traten unter der Eiche hervor, als Jana den Wagen in den schmalen Waldweg lenkte und ihn dann auf ihrer Höhe zum Halten brachte. »Na, so kann man seine Kleider natürlich auch waschen«, scherzte sie bei ihrem Anblick. »Wie durch den Waschtrog gezogen seht ihr aus.«
»Was du nicht sagst! Es ist ein Wunder, dass wir bei der Sintflut nicht im Stehen ertrunken sind! Aber davon hast du ja nicht viel mitbekommen, wie ich sehe«, brummte Tobias, doch ihr Lächeln war viel zu ansteckend, als dass er ihm länger als einen Augenblick hätte widerstehen können.
»Zieht eure nassen Umhänge, Jacken und Hosen aus und schmeißt sie hier über den Sitz, bevor ihr euch drinnen umzieht«, forderte Jana sie auf.
Sadik sah sie verdutzt an.
»Was ist?«, fragte Jana keck. »Ihr müsst den Wohnwagen ja nicht unbedingt unter Wasser setzen, oder?«
»Aber dann schau bitte auf die andere Seite, Jana!«, verlangte Sadik knurrig.
»Ja, o Herr und Gebieter!«, spottete sie und wandte ihnen den Rücken zu, pfiff dabei aber spöttisch vor sich hin.
»Die Frauen sind wie die Heuschrecken«, murmelte Sadik. »Nichts ist für ihre Zähne zu bitter.«
Tobias warf Umhang und Jacke ab und fuhr schnell aus der Hose. »Hast du nicht mal gesagt, der Scherz in der Rede sei wie das Salz in der Speise?«
Sadik warf ihm nur einen missmutigen Blick zu, zog sich bis auf seine Leibwäsche aus und folgte Tobias hastig durch die Hintertür in den Wohnwagen.
»Wo bist du gewesen, Jana?«, rief Tobias ihr zu, während er sich der letzten nassen Sachen entledigte und sich rasch abtrocknete. »Und hast du was über den Gasthof und seinen Patron, diesen Gerd Flosbach alias Vierfinger-Jacques, in Erfahrung bringen können? Erzähl schon mal!«
»Ich habe es gerade noch so bis zum Dorfplatz und in das dortige Wirtshaus Zur Alten Mühle geschafft. Dann brach auch schon das Unwetter los«, drang Janas Stimme,
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