Falkenhof 03 - Im Banne des Falken
trat ein. In dem langen und hohen Raum brannte nur eine einzige Lampe. Sie stand auf einem Sekretär neben dem Kamin. Ihr Licht fiel auf Sadik, der dort stand, und auf einen eingerollten Teppich, der zu seinen Füßen lag. Der Größe nach zu urteilen, konnte es sich dabei nur um den Gebetsteppich handeln. Hatte Sadik das Rätsel gelöst? Aber wenn ja, dann bestand doch für diese Art der Heimlichtuerei gar kein Grund.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Tobias deshalb verwirrt. »Wozu dieses geheimnisvolle Treffen? Und ist das da Wattendorfs Gebets …«
Sadik hob kaum merklich die Hand, wie er es schon draußen vor dem Zelt getan hatte, und brachte ihn mit dieser knappen Geste zum Schweigen. »Labbit! … Warte! Hast du Jana unterrichtet?«
»Ja, sicher. Sie muss jeden Augenblick kommen. Aber warum sollten wir denn getrennt und unauffällig in die Bibliothek kommen?«, wollte er wissen, und das ernste Gesicht des Beduinen gefiel ihm gar nicht. »Ist irgendetwas mit dem Teppich?«
»Sihdi Burlington …«, begann Sadik, brach jedoch sofort ab, als die Tür aufging. Es war Jana. Er nickte ihr zu und sagte: »Bitte schließ die Tür hinter dir!«
Sie folgte seiner Aufforderung und kam dann zu ihnen herüber, von den seltsamen Umständen dieses Treffens und Sadiks ernstem Gesichtsausdruck genauso beunruhigt wie Tobias.
»Was ist passiert, Sadik?«
Dieser zog einen gefalteten Bogen aus der Tasche seiner Mönchskutte. »Ein Diener hat mir vorhin diese Nachricht von Sihdi Burlington überbracht.«
»Das habe ich gesehen«, sagte Tobias. »Und was ist damit?«
»Lest selbst!«
Jana nahm den Bogen entgegen, faltete ihn auseinander und hielt ihn in das Licht. Tobias beugte sich über ihre Schulter, während sie den Text leise vorlas:
»Mein lieber Sadik!
Gedichte mit versteckten Rätseln zu entschlüsseln entspricht eigentlich nicht meinen Fähigkeiten. Aber heute scheint mir Fortuna doch recht gewogen zu sein! Zerbrach mir den Kopf über den See der Eitelkeiten – und plötzlich, wie mit einem Paukenschlag, kam mir die Erkenntnis. Zumindest nehme ich an, dass ich fündig geworden bin. Es wird Sie bestimmt interessieren, was ein Lord Ihnen für eine Deutung anbieten kann. Bitte seien Sie doch so nett und kommen Sie mit dem Teppich und der Karte zu mir in den Pavillon, in den ich mich von dem Trubel zurückgezogen habe. Und kommen Sie ohne Jana und Tobias. Ich möchte, dass es erst einmal unter uns bleibt! Es hat seine Gründe. Vertrauen Sie mir. Und vergessen Sie nicht Teppich und Karte! Ihr Rupert.«
Jana gab den Brief an Sadik zurück und sagte mit freudiger Überraschung: »Er glaubt also das Rätsel-Gedicht gelöst zu haben! Das ist doch eine ganz hervorragende Nachricht! Ich verstehe gar nicht, warum du so eine finstere Miene machst und uns deshalb wie Verschwörer hier zusammenkommen lässt, Sadik.«
»Na, dass Rupert uns von der Enthüllung des Geheimnisses ausschließen will, finde ich schon ganz schön enttäuschend«, wandte Tobias etwas säuerlich ein. »Und ich dachte, wir verständen uns ganz ausgezeichnet. Aber offensichtlich habe ich mich geirrt. Seine Lordschaft hält uns wohl nicht für würdig, zugegen zu sein, wenn …«
»Baluhl!«, schnitt Sadik ihm das Wort ab.
»Ich und ein Dummkopf?«, fragte Tobias ungehalten. »Ja, mag sein, dass ich mich von seinen Geschichten und Marotten habe für dumm verkaufen lassen!«
»Aiwa, du bist in der Tat ein baluhl, wenn du die wahre, geheime Botschaft nicht erkennst, die Sihdi Burlington in diesen Zeilen versteckt hat«, sagte Sadik, jedoch nicht böse, sondern sorgenvoll.
»Geheime Botschaft?«, wiederholte Jana verständnislos.
»Ja, wo soll denn da eine geheime Botschaft versteckt sein?«, fragte auch Tobias verwundert.
»Seht euch den Brief noch einmal genau an!«, forderte Sadik sie auf und breitete ihn auf der Schreibplatte des Sekretärs aus.
»Achtet auf seine Schrift. Sihdi Burlington besitzt eine vorbildliche, überaus flüssige Handschrift. Innerhalb eines Wortes setzt er die Feder gewöhnlich nicht ab. Hier ist ein Brief an seinen Buchhändler in London, der das ganz deutlich erkennen lässt.«
Er zog das Schreiben zum Vergleich heran, das er auf dem Sekretär vorgefunden hatte. »Doch in dieser Nachricht, die er mir vorhin hat überbringen lassen, ist das nicht immer der Fall. In dieser Nachricht gibt es Ausnahmen. Einige Wörter weisen Anfangsbuchstaben auf, die ein wenig für sich stehen und mit dem Rest des Wortes nicht richtig
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