Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
Fest, was halten Sie davon?«
Das Mädchen stand angezogen im Türrahmen des Wohnmobils und sah zu ihnen hinunter. Sie wirkte auf Walcher nicht mehr verängstigt, eher neugierig. Er winkte ihr, zu ihm zu kommen, und bemerkte beiläufig zu Luigi Campagnone: »Wir hören wieder voneinander, ich habe einige interessierte Kunden.« Dann ging er zum Auto in der Annahme, dass Campagnone das Mädchen zum Wagen bringen würde.
Das tat er auch, allerdings musste er sie mit Gewalt hinter sich her zerren. Fluchend riss Campagnone die hintere Tür auf der Beifahrerseite auf und stieß das sich sträubende Mädchen auf die Rückbank. Johannes saß scheinbar desinteressiert und mit versteinerter Miene am Steuer, er sah nicht mal nach rechts.
Walcher stieg ein und verabschiedete sich mit einer lässigen Handbewegung. »Ciao, Signore Campagnone, auf bald.«
Campagnone winkte in gebückter Haltung, um ins Wageninnere sehen zu können, und rief mehrere Male: »Ciao, Signore Hoffmann, ciao, ciao und gute Heimreise, buona ventura, buona ventura.« Dann drehte er sich um und ging zum Wohnmobil zurück.
Johannes ließ den Motor an und fuhr im Rückwärtsgang langsam zur Einfahrt. Luigi Campagnone stand immer noch winkend vor dem Wohnmobil. Walcher wedelte auch noch mal lässig zurück und zischte leise: »Dreckschwein«, auch wenn er es am liebsten laut hinausgebrüllt hätte, aber die Seitenfenster waren offen. Dafür fluchte Johannes laut und ungehemmt: »Verdammte Scheiße«, und trat heftig aufs Bremspedal.
Rodica VII
Mit einem gellenden Schrei schreckte Rodica aus ihrem Alptraum auf. Sie zitterte am ganzen Körper, ihre Haare waren schweißverklebt. Hektisch tastete sie nach dem Teddy und drückte ihn an sich. Erst als die Nachtschwester sie in den Arm nahm und ihr auf Rumänisch zuflüsterte: »Alles gut, alles gut«, löste sich langsam ihre Angst.
Der weiße Kittel der Schwester duftete nach frischer Wäsche, wie zu Hause. Mit einem Stück harter Seife musste sie früher immer die besonders schmutzigen Stellen der Wäschestücke einreiben, bevor sie in den Kessel kamen, in dem sonst die Kartoffeln für die Schweine gekocht wurden. Zu Hause! Wann würde sie endlich wieder in dem kleinen Haus sein, bei Ewa, Mutter und Vater und ihren Brüdern? In Rodicas Erinnerung hatten sich ihr Elternhaus, die Straße, an der es stand, und das Heimatdorf in ein goldenes Paradies verwandelt, wie in einem Märchen. Vielleicht waren auch die ewigen Fragen der Therapeutin schuld daran, dass sie in den vergangenen Tagen oft an zu Hause gedacht hatte.
Nach ihrem Zuhause, nach den Eltern, nach den Geschwistern – seit sie in diesem Krankenhaus lag, hatte die Therapeutin sie wieder und immer wieder danach gefragt.
Nach den Freunden, nach ihrem Zimmer, nach dem Garten, was die Mutter gekocht hatte, was der Vater machte, alles wollte sie wissen.
Rodica mochte die Therapeutin, auch wenn sie sich nicht direkt mit ihr unterhalten konnte. Hedwig Emrich sprach kein Rumänisch, deshalb war immer eine Dolmetscherin dabei. Aber auch das machte die Verständigung nicht einfacher, denn Rodica mochte die Dolmetscherin nicht, wegen ihrer furchtbar schrillen Stimme und weil sie ständig Speichel versprühte, wie der Wassersprüher auf der Wiese vor dem Fenster.
Außerdem lachte sie häufig, auch wenn es gar nichts zum Lachen gab, und drückte Rodica bei jeder Gelegenheit an ihre mächtigen Brüste.
Von ihrem Heimatdorf musste Rodica erzählen und von dem Mann, der sie dort abgeholt hatte, und ob sie sich noch an die Stadt erinnerte, in die er sie gebracht hatte, oder vielleicht sogar den Namen der Straße. Auch wollte Hedwig wissen, was die Männer in Rumänien alles mit ihr gemacht hatten. Es ist wichtig, hatte Hedwig erklärt, dass du mir alles erzählst, immer wieder, bis du selbst weißt, dass es kein böser Traum war. Aber zum Erzählen kam Rodica erst, als Hedwig eine andere Dolmetscherin mitbrachte, eine, die sie nicht immer an sich drücken wollte und nicht bei manchen Fragen vor Entsetzen die Hände vors Gesicht schlug und aufschrie. Die neue Dolmetscherin war ruhig und leise, hatte braune Augen und ein scheues Lächeln. Nur manchmal, wenn Rodica etwas Schlimmes erzählte, nickte sie und sah dann aus dem Fenster.
Hedwig hatte immer ein kleines Gerät dabei, nicht größer als ein Handy, mit dem sie ihre Unterhaltungen aufzeichnete. Beim ersten Mal wollte Rodica gar nicht glauben, dass es ihre Stimme war, die aus dem kleinen Ding kam, laut und
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