Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
Ablenkung gesorgt. Ermittlungsbeamte zeigten Rodica immer wieder Fahndungsfotos, darunter auch Fotos von den Männern, die bei der bundesweiten Razzia festgenommen worden waren.
Rodica erkannte den Fetten, einen der Lkw-Fahrer und aus der letzten Wohnung die beiden Wächter, die immer so viel getrunken hatten. Sie erklärte Hedwig, dass sie deshalb nur wenige erkannte, weil sie immer die Augen fest zugedrückt hatte, wenn Männer bei ihr gewesen waren.
Die Tage vergingen schnell, denn auch die Stationsschwestern kümmerten sich um Rodica, bastelten mit ihr Wandschmuck und Mobiles, zeigten ihr, wie Armbänder aus farbigen Schnüren geknüpft wurden, oder spielten Mensch ärgere dich nicht und Memory mit ihr. Aber so ausgefüllt die Tage auch waren, nachts kam die Angst. Dann verfolgte sie das fette Schwein, und Männer, die stanken, verlangten furchtbare Sachen von ihr, und auch in dem dröhnenden, stinkenden schwarzen Kasten fuhr sie, Nacht für Nacht.
Der Abschied von den Schwestern und den Frauen und Mädchen, die noch auf der Station lagen, war traurig, aber gleichzeitig ein Schritt in Richtung Heimat. Mit dem Auto fuhren Hedwig und die Dolmetscherin mit Rodica aus der Stadt.
»Wir bringen dich in ein Ferienheim, damit du wieder zu Kräften kommst«, hatte Hedwig ihr erklärt. »In der Zwischenzeit werde ich deinen Eltern schreiben.«
Nach Hause – wie sich Rodica danach sehnte. Aber sie sah ein, dass das nicht so einfach ging, immerhin waren sie damals tagelang unterwegs gewesen, also musste es weit sein nach Rumänien.
Die Fahrt ins Ferienheim dauerte nicht so lange, eine Stunde nur, dann hielten sie auf einem Bauernhof, der inmitten von Feldern und Wiesen stand. Einen kleinen Weiher mit Enten darauf gab es auch und dahinter ein Wäldchen.
»Du bist die Rodica«, wurde sie von einer jungen Frau begrüßt, die mit einem herzlichen Lächeln auf sie zukam. »Willkommen, wir haben dich schon erwartet«, rief sie fröhlich . Hinter der Frau kam eine kleine, aber ungewöhnlich dicke Ziege hergetrippelt, stupste Rodica an den Beinen und knabberte an ihrem Ärmel.
»Das ist unsere Meckersusi, und ich heiße Hanna«, stellte sich die Betreuerin samt der Ziege vor. Rodica kniete auf den Boden und streichelte Meckersusi.
»Ich glaube, so was nennt man Liebe auf den ersten Blick«, stellte Hanna fest. Hedwig nickte erleichtert. Dann stürmten vier Mädchen aus dem Haus, alle in Rodicas Alter, begrüßten aufgeregt die Neue und nahmen sie mit. »Komm, wir zeigen dir dein Zimmer.« Rodica verstand, was sie sagten, denn sie redeten in ihrer Muttersprache.
Kerker
Ohne ein Handy, ohne jede Chance, mit der Welt draußen Kontakt aufzunehmen, fühlte sich Walcher vier Stunden später doch nicht mehr so gut wie noch bei seiner Festnahme.
Ausgeliefert fühlte er sich. Ausgeliefert einer staatlichen Instanz, die berüchtigt dafür war, dass sie mit Inhaftierten nicht gerade zimperlich umging. Er dachte an Susanna, ihr gegenüber hatte er seine Italien-Tour nur beiläufig erwähnt, als eine kurze Informationsfahrt. Irmi ging ihm durch den Kopf, bei ihr konnten die alten Traumen aufbrechen, wenn er sich länger als ein, zwei Tage nicht meldete. Selbst an Kater Bärendreck dachte er; wie gerne würde er jetzt zu Hause in der Küche sitzen, bei einem Glas Wein. Ob Brunner versuchen würde, Kontakt mit den Italienern aufzunehmen? Immerhin wusste er, wo in etwa sie sich mit dem Menschenhändler treffen wollten.
Walcher lag zusammengekauert auf der harten Pritsche und verfluchte die unwürdige Behandlung, wenngleich er durchaus Verständnis dafür hatte; immerhin war er in den Augen der Polizei einer von diesen Menschenhändlern. Abschaum, Kinderschänder.
Johannes war vermutlich stocksauer auf ihn, der hatte sich nun auch noch Nikotinentzug eingehandelt. Bei diesem Gedanken musste Walcher allerdings schmunzeln, er würde sicher noch einiges von ihm zu hören bekommen.
Trotz der feuchten Kühle wuchs Walchers Verlangen nach einem Glas Wasser. Was, wenn man sich einfach nicht mehr um sie kümmerte, so wie bei den Österreichern, und sie einfach verdursten ließ? Durst. Bewusst konzentrierte sich Walcher auf angenehmere Dinge. An Susanna dachte er. Von Freitagabend bis Montagvormittag, dann musste sie wieder nach Basel zurück, weil sie abends einen Auftritt hatte. Er würde vielleicht irgendein Gericht aus Norditalien kochen, so als Mitbringsel von seinem Kurzbesuch. Polenta smalzade trentina oder Strangolapreti, sie
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