Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
mal hatten die Entführer die Adressen? Hören die uns ab oder was? So können wir nicht weitermachen. Es muss irgendwo eine undichte Stelle geben.«
In Doros Kopf dröhnte es: Undichte Stelle, undichte Stelle, undichte Stelle.
Sie war diese undichte Stelle! Sie, Dorothea Huber, von allen nur Doro genannt, eine Verräterin! Mühsam stand Doro auf. Mechanisch, wie ein Roboter, holte sie vom winzigen Balkon an der Küche die grüne Gießkanne, die sie vor zwei Jahren zur Einzugsparty von Lena geschenkt bekommen hatte. Im Badezimmer stellte sie die Kanne auf den schmalen Rand der Badewanne und nahm aus dem Spiegelschrank über dem Waschbecken die angebrochene Packung Schlaftabletten, die sie mühelos verschrieben bekam. Damit konnte sie wenigstens einige Stunden schlafen, wenn sie wieder einmal tagelang vergeblich auf einen Anruf von Nico gewartet hatte und voller Unruhe und Zweifel in der Wohnung auf-und abgetigert war. Sie drückte fünf Tabletten aus der Folienverpackung und schluckte sie mit viel Wasser hinunter. Dann drehte sie beide Hähne an der Badewanne auf.
Im Wohnzimmer schrieb Doro auf die Rückseite eines ungeöffneten Briefumschlages des Ordnungsamtes der Stadt München die Worte: Nicolas Valeskou, wohnhaft München-Grünwald, Chiemseestraße 24, Beruf: Menschenhändler, Kidnapper, Zuhälter. Verzeiht mir. Dorothea Huber.
Unsäglich müde fühlte sie sich. Als hätte sie zu viel getrunken, schwankte sie in die Küche und nahm den Toaster. Sie handelte ganz mechanisch. Die Wanne war inzwischen zur Hälfte voll. Doro stellte den Toaster auf den Boden, beugte sich über die Wanne, nahm den Brausekopf, schob ihn in die Gießkanne und ließ sie halb volllaufen. Dann drehte sie die Hähne wieder zu, stellte den Toaster vorsichtig auf die Gießkanne und steckte den Stecker gegenüber in die Steckdose über dem Waschbecken.
Am ganzen Körper zitternd stieg sie in die Badewanne. Einen winzigen Moment lang empfand sie Scham für das, was sie tat. Schreien wollte sie, brachte aber nur ein Stöhnen heraus. Sie weinte wieder. Das Gefühl einer unsäglichen Trauer breitete sich in ihr aus, und in der Herzgegend empfand sie heftigen Schmerz. Mit Mühe beugte sie sich vor und drehte den Hahn der Brause auf, nur ein wenig. Dann ließ sie sich zurücksinken und schloss die Augen.
Die Gedanken waren weniger geworden und tröpfelten nur langsam. Ihr Vater flüsterte ihr zu: »Wenn du jemandem was erzählst, kommen Mami und ich weg, und du bist ganz allein und kommst ins Heim.« Lena winkte ihr zu, sie schien ihr nicht böse, denn sie lächelte. Auch die Kinder, die vorbeiliefen, lächelten, ja sogar der stinkende Kater auf dem Hof im Allgäu schien zu lächeln, dann war es mit einem Mal dunkel.
Rodica IX
Trotz der langen Fahrt verspürten Hedwig und Rodica keine Müdigkeit, als sie vor dem kleinen Haus in Bilbor standen. Hedwig hatte sich mit einem Brief, natürlich auf Rumänisch, bei den Eltern angekündigt. Das Reisedatum und die voraussichtliche Ankunftszeit standen darin und dass sie ihnen ihre Tochter Rodica zurückbringen würde. Alle möglichen Verbindungen hatte Hedwig genutzt, um die Familie wieder zusammenzubringen, denn das war Rodicas allergrößter Wunsch.
Ausweispapiere für Rodica hatte sie besorgt und den Kollegen aus der gemeinsamen Studienzeit kontaktiert, der seit dem Ende der Ceau¸sescu-Diktatur versuchte, in Rumänien zeitgemäße Strukturen in der Psychiatrie aufzubauen, gemeinsam mit dem zu diesem Zweck gegründeten Förderverein Beclean. Mit seiner Hilfe war es Hedwig gelungen, für Rodica einen Ausbildungsplatz in der Kinderklinik des Kreiskrankenhauses von Cluj zu organisieren. Auf die Frage, welchen Beruf sie gern erlernen würde, hatte Rodica immer wieder geantwortet: »Kinderschwester oder Kindergärtnerin.«
Hedwig betrachtete es als großes Glück, überhaupt einen der wenigen Ausbildungsplätze zu bekommen, und freute sich für Rodica, dass die ersten Schritte so vielversprechend begannen, zumal Rodicas Schulabschluss sie nicht gerade für eine berufliche Karriere prädestinierte.
Rodica könnte bei einer ehemaligen Lehrerin wohnen, die für den Förderverein als Dolmetscherin tätig war. Auch diesen Kontakt hatte der Kollege hergestellt und sogar die Zusage gegeben, dass der Förderverein die Kosten für die Miete, Haushaltsgeld und für den Unterricht tragen würde, damit Rodica bei der Lehrerin Deutsch und Englisch lernen konnte. Nach dem Briefwechsel mit der Lehrerin war sich
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