Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
gebracht hätten. Vielleicht sollte er dem Pächter vorschlagen, die Steine von den Mähweiden zu sammeln, das müsste schon längst wieder einmal gemacht werden.
Dorothea Huber
Doro unterbrach das Gespräch, legte den Hörer auf und setzte sich in den einzigen Sessel des kleinen Wohnzimmers, der dort in einem Erker stand. Sie zitterte, und Tränen flossen ihre Wangen hinunter. Sie wehrte sich nicht dagegen.
Die Illusion, einen Mann gefunden zu haben, dem sie vertrauen, den sie lieben konnte, war dahin. Hundeelend fühlte sie sich und viel zu kraftlos, um Wut zu empfinden. Enttäuschung und Leere, das ja, aber selbst diese Gefühle glichen einer schweren breiigen Masse, die sich in ihrem Kopf drehte und drehte, ohne Anfang und Ende.
Wie oft hatte sie nun schon dieses Wechselspiel aus Vertrauen und Enttäuschung ertragen. Alle ihre Beziehungen zu Männern waren belastet gewesen von dem Gespenst, das Missbrauch hieß. Immer waren die Momente der Zärtlichkeiten eine Art Überwindung gewesen, ständig geisterte der Vater durch ihre Gedanken, und auch den Fluch der Mutter bekam sie nie wieder aus dem Kopf. »Hure, Geißel Jehovas«, hatte die getobt, als Doro sie um Hilfe gegen den Vater angefleht hatte. Konnte man überhaupt jemandem vertrauen? Nach jeder Trennung musste sie sich erneut von der Illusion, einem Mann vertrauen zu können, verabschieden. Aber was vermochte der Kopf gegen Gefühle auszurichten? Und so hatte sich Doro wieder und wieder verliebt und zuletzt mit einer Heftigkeit wie nie zuvor. Aber das allein, der erneute Verlust einer Illusion, war es nicht, was sie dermaßen traf, sie förmlich niederschmetterte. Dieses Mal war sie offensichtlich von Anfang an ausgenutzt worden, war die vermeintliche Liebe des Mannes zu ihr nur gespielt, nur ein übler Trick gewesen. Und sie war darauf hereingefallen wie eine pubertierende Pennälerin.
Alles hatte sie ihm gegeben, sogar das Vertrauen ihrer Schützlinge, und das war das Schlimmste. Deshalb traf sie die Enttäuschung an ihrer empfindlichsten Stelle.
Nico war raffinierter und berechnender vorgegangen als alle anderen davor. Er hatte so getan, als liebte er sie vor allem auch deshalb, weil sie aufopfernd ihre Arbeit tat. Sie hatte ihm vertraut und diesem Mann ihrer Träume alle möglichen Informationen, Namen, Telefonnummern, Adressen frei Haus geliefert. Der Gedanke daran zerriss sie innerlich. Ausgerechnet sie, die ihr ganzes Leben darauf ausgerichtet hatte, Menschen zu helfen, die ein ähnliches Schicksal wie sie ertragen mussten, ausgerechnet sie war zur Verräterin ihrer eigenen Sache geworden.
Doros Gedanken wirbelten wie lose Blätter im Sturm. Wie sollte sie jemals wieder jenen Menschen gegenübertreten, die ihr vertrauten, angefangen bei Lena, ihren Kollegen im Jugendamt oder diesem Walcher, ganz zu schweigen von all den jungen Frauen, Mädchen und Jungen, den Pflegefamilien, in denen sie ihre Schützlinge untergebracht hatte. Ihr Leben hatte keinen Sinn mehr, hatte eigentlich nie einen gehabt. Sie befand sich plötzlich im selben Boot mit den Verbrechern, die diese Kinder zugrunde richteten. Weil sie blind gewesen war, weil sie an die Illusion der großen Liebe glauben wollte. Abhängig war sie geworden von diesem Mann, bloß weil er ihr das Gefühl gegeben hatte, begehrenswert zu sein.
Sie hatte tatsächlich geglaubt, Nico würde sich allein für sie interessieren. Als zärtlicher und sensibler Mann hatte er sich gegeben, voller Bewunderung für ihr berufliches Engagement. Die Ungereimtheiten in seiner Biographie hatte sie verdrängt – bis ihr Leidensdruck über ihre immer seltener werdenden Treffen derart gewachsen war, dass sie ihm gezielte Fragen gestellt hatte. Aber auch da hatte sie Nico noch geglaubt, weil sie es wollte. Allmählich jedoch dämmerte ihr, weshalb er alles über die Mädchen wissen wollte, sogar bei welchen Familien sie untergebracht waren.
»Ich finde deine Arbeit so unglaublich, und was du alles für deine Schützlinge tust – phantastisch«, hatte er ihr erklärt, »ich werde darüber ein Buch schreiben«, und sie war auf seine Schmeichelei hereingefallen. Ihr Freund, der Schriftsteller, noch so eine Illusion.
»Ich bin vollkommen ratlos«, hatte ihr Kollege Bernd Zettel gestöhnt, als er sie vor einer halben Stunde angerufen und von den ersten Verhören nach der Razzia berichtet hatte.
»Wir haben bei den Verhören nun bereits drei Mädchen dabei, die aus ihren Pflegefamilien entführt wurden. Woher verdammt noch
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