Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
sah, aber er kannte niemanden, mit dem er darüber sprechen konnte.
In seinen Tagträumen dachte er sich ähnliche Spiele aus, wie er sie bei dem Städter gesehen hatte, und fühlte sich dann ebenso erregt wie irritiert. Mit Tonis Aufklärung war es nicht weit her. Der Vater hatte ihn zur Seite genommen, als er 14 war, und gefragt, ob er denn schon wüsste, wie Männer und Frauen zusammenkämen. Als Toni genickt hatte, war dem Vater anzusehen, dass er froh war, dieses Thema nicht weiter besprechen zu müssen.
Allerdings hatte Toni nur genickt, um nicht für dumm gehalten zu werden, in Wirklichkeit wusste er nur, was er bei den Ziegen und Rindern beobachtet hatte und bei den Fremden in der Berghütte. Später, erst bei der Bundeswehr, da klärten ihn der Unterricht über die Verhütung von Geschlechtskrankheiten und auch die Geschichten seiner Kameraden auf, denn Frauen waren auf den Stuben das beliebteste Thema.
Wenn Toni auf der Hochweide zu tun hatte, ging er auf dem Rückweg meistens an der Jagdhütte vorbei, auch wenn es ein ziemlich großer Umweg war. Aber schließlich gehörte es zur Abmachung mit dem Pächter, nach dem Rechten zu sehen.
Stand am Ende des Karrenweges ein Geländewagen, ging Toni auf seinen Beobachtungsplatz, von dem aus er durch die Fenster in die Hütte einsehen konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Deshalb hatte er auch immer das starke Fernglas seines Vaters im Rucksack. Meist verpasste er den Städter, obwohl er in diesem Sommer häufiger zu Besuch war, und nur einmal konnte er wieder die wilden Spiele beobachten. Er verfluchte sich dafür, dass sie ihn immer noch in höchste Erregung versetzten. Toni mähte seit Tagen die oberen Weiden, das trockene Wetter hielt sich, und er kam gut voran. Mit dem neuen Balkenmäher wagte er sich sogar in steile Hänge, die er früher nur mit der Hand gemäht hatte. Mühsam war es allemal, denn die Wiesenflecken vor Scheuen-und Gauchenwänden, die wie Schutzwälle das Hochtal nach Nordosten abschlossen, waren meist nur kleine Flecken und steinig dazu. Dafür waren sie aber gut bewässert, denn die vielen Rinnsale und Bäche am Nordosthang des Piesenkopfes füllten nicht nur das Ziebelmoos, sie sammelten sich auch zu dem oberen Scheuenbach, der als respektabler Wasserfall in der Lücke zwischen den Scheuen-und Gauchenwänden zu Tal stürzte.
Seit gestern Abend stand wieder ein Auto am Ende des alten Karrenweges. Eine seltsame Spannung baute sich bei ihm auf, je näher er seinem Beobachtungspunkt kam. 25 Jahre war er und benahm sich wie ein kleiner Junge, dachte er kurz und verlangsamte das Tempo, aber nur kurz. Dann ging er wieder zügig weiter.
Beinahe wäre er dem Pächter über den Weg gelaufen, der mit einem offensichtlich schweren Rucksack, gebeugt und schwer atmend, bergab stieg. Gerade noch rechtzeitig zuckte Toni hinter den Stamm einer Tanne zurück und ließ den Hamburger vorbei, keine zehn Meter entfernt. Erst als etwa fünfzig Meter zwischen ihnen lagen, folgte ihm Toni, vorsichtig und immer bestrebt, wenigstens ein paar Büsche als Deckung vor sich zu haben.
Einige Male blieb der Pächter breitbeinig und nach vorne gebückt stehen, um nach kurzen Pausen wieder schwankend weiterzugehen. Wenn er seine Richtung nicht änderte, dachte Toni, müsste er direkt auf die kleine Spalte stoßen, die für jemanden, der die Gegend nicht kannte, durchaus gefährlich werden konnte. Aber der Pächter ging direkt auf die Spalte zu, kniete davor nieder und wurde zu Boden gezogen, als er den offensichtlich schweren Rucksack seitlich absetzen wollte. So blieb er einige Minuten liegen und atmete keuchend ein und aus. Schweiß tropfte von Nase und Kinn, Toni hatte sein Glas herausgeholt und konnte deshalb sehen, dass der Städter ziemlich erschöpft war.
Mit fahrigen Bewegungen öffnete er den Rucksack und schüttete den Inhalt in die Spalte. Dann hängte er sich den Rucksack über die Schulter und ging wieder den Weg zurück, den er gekommen war.
Natürlich ging Toni an die Spalte und sah hinunter, kaum dass der Pächter außer Sicht war, aber er konnte in dem Loch nur Steine erkennen. Diese Fremden, dachte Toni, die musste man erst einmal verstehen.
Eine weitere Rucksackfüllung, die der Hamburger aus dem Bachbett oberhalb herunterschleppte, beobachtete Toni noch, dann machte er sich auf den Nachhauseweg, etwas enttäuscht und gleichzeitig aber auch erleichtert, weil es keine Spiele zu beobachten gab, jedenfalls keine, die ihn aus dem Gleichgewicht
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