Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
Hedwig sicher, dass Rodica bei ihr die notwendige Förderung und auch Fürsorge erhalten würde. Doch erst einmal standen die beiden auf der staubigen Straße vor Rodicas Elternhaus.
Für Rodica hatte sich nichts verändert, Hedwig allerdings fühlte sich, als hätte sie eine Zeitreise in ein vergangenes Jahrhundert unternommen. Während Rodica aufgeregt das Gartentor aufdrückte und zu dem Häuschen lief, war Hedwig von dem Anblick eines ausgeschlachteten Schrottautos gefesselt, das vor ihr auf der Straße vorbeirollte. Ein älterer Mann saß in dem Gefährt, gezogen von einem zotteligen Pferd in gemütlichem Trab. In der offenen Karosserie lag eine Ladung Heu. Der Treibstoff für das Pferd, dachte Hedwig schmunzelnd und erwiderte freundlich das breite Lächeln des zahnlosen Alten.
Rodicas aufgeregte Rufe rissen sie jedoch aus ihren Gedanken über vermeintliche Anspruchslosigkeit und westliche Romantik.
Rodica lief bereits die zweite Runde ums Haus, klopfte an die verschlossenen Türen vorn und hinten und an die Fenster, aber niemand öffnete ihr. Unter Tränen fragte sie die Nachbarin nach den Eltern und Geschwistern. Die seien schon früh am Morgen in den ersten Bus gestiegen und würden erst in einigen Tagen wieder zurück sein, erklärte sie. Deswegen müsste sie auch den Garten gießen und die Hühner, Hasen und Gänse versorgen. Nein, sonst hätten ihr die Eltern nichts weiter gesagt, auch nicht, dass sie zu Besuch käme. »Aber die wussten doch, dass ich komme«, flüsterte Rodica verzweifelt.
Für Hedwig sah es nach einer Flucht vor der eigenen Tochter aus.
»Vielleicht schämen sich deine Eltern dafür, dass sie dich einem falschen Freund anvertraut haben«, versuchte sie Rodica zu trösten.
Inzwischen hatte Hedwig etwas Rumänisch gelernt und konnte sich mit Hilfe des Wörterbuchs verständlich machen. »In Cluj bist du ja nicht weit von ihnen weg und kannst sie von dort aus mit dem Bus besuchen. Komm, wir fahren zu deinem neuen Zuhause«, schlug sie vor.
Rodica nickte. Sie war enttäuscht und traurig, auch dass sie ihre Geschenke nicht verteilen konnte. Voller Eifer hatte sie Geschenke gebastelt und von ihrem geringen Taschengeld Zigaretten für den Vater, eine duftende Seife für die Mutter, ein Parfüm für Ewa und Süßigkeiten für die Brüder gekauft. Wie sehr hatte sie sich auf das Wiedersehen gefreut, ja ihm entgegengefiebert, und jetzt hatten sich die Eltern einfach auf und davon gemacht.
Bis zu diesem Moment war Rodica niemals auf die Idee gekommen, dass ihre Eltern damals sehr wohl gewusst hatten, was Rodica erwartete. Diesen Vorwurf hätte sie ihnen niemals gemacht. Nun aber war es offensichtlich, dass sie nichts mehr mit ihr zu tun haben wollten, und das tat weh.
Rodica erinnerte sich auch an die Geschichte, die eines der Mädchen aus dem Ferienheim erzählt hatte. Ihr war es gelungen, in Bukarest den Menschenhändlern zu entfliehen und sich wieder nach Hause durchzuschlagen. Zwei Tage später war sie erneut abgeholt worden. Aus Angst vor Repressalien und auch weil das erhaltene Geld bereits ausgegeben war, hatten die Eltern die Händler über das Wiederauftauchen ihrer Tochter benachrichtigt.
In Rodica zerbrachen Hoffnung und Vertrauen, und sie nahm sich vor, nie wieder die Mutter und den Vater zu besuchen, wenn, dann nur Ewa und die beiden Brüder.
Nicolas Valeskou
Hin-und hergerissen zwischen Rachegefühlen und Fluchtgedanken kämpfte er mit sich. Die Hoffnung, dass sie ihn nicht finden würden und er weitermachen könnte wie bisher, hatte er begraben. Die Razzien an sämtlichen Standorten in München waren ein koordinierter, geplanter Zugriff gewesen. Nur durch einen Zufall hatte er sich bei der Erstürmung nicht in der Wohnung in der Schwere-Reiter-Straße aufgehalten. Nach wiederholten vergeblichen Versuchen gab er es auf, den Landeschef erreichen zu wollen. Dessen Festnetzanschluss war tot, und auch das Handy klingelte ins Leere. Anrufe bei den wenigen Bereichsleitern, deren Nummern er kannte, blieben erfolglos. Nicolas schloss daraus, dass nicht nur die Münchner Bordelle von der Polizei gestürmt worden waren. Es schien alles verloren, was er mühsam aufgebaut hatte. In seinem Haus fühlte er sich relativ sicher, keiner seiner Leute kannte die Adresse. Sie waren alle der Meinung, er würde im Stockwerk über dem ausgehobenen Puff in der Schwere-Reiter-Straße wohnen. Hätte Doro ihm nicht von dem Journalisten erzählt, wäre seine Wut ins Leere verpufft. Aber so baute sich
Weitere Kostenlose Bücher