Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
nur mit der flachen Hand auf den Kopf zu schlagen. Die Ältere erklärte Rodica später, dass es verboten wäre, den Balkon zu benutzen oder die Wohnungstür aufzumachen.
»Bedeutet das«, wollte Rodica entsetzt wissen, »dass ich nie wieder hinausgehen darf?«
Die Ältere zuckte mit den Schultern.
Kinderaugen
Walcher war immer schon ein Nachtarbeiter gewesen, der selten vor Mitternacht schlafen ging. Aber ungeachtet der Uhrzeit, seine letzte Aktion war meist der Blick in seine E-Mails, so wie andere den Stand des Barometers prüften, einen Blick in den Nachthimmel warfen oder den Wecker stellten. Oft ließ er es dann aber nicht dabei bewenden, sondern beantwortete die eingegangenen Mails, und wenn er schon mal dabei war, folgte meist noch ein Abstecher ins Internet, weil ihm noch irgendeine Frage eingefallen war.
Auch an diesem Abend überflog Walcher die eingegangenen Mails. Die Nummer eins war eine Werbung für ein neues Bildbearbeitungsprogramm, die nächsten drei Mails stammten von diesen unsäglich aufdringlichen Internetwerbern, die die Rolle von Hausierern übernommen hatten und von Vitaminpillen, Lebensversicherungen bis hin zu Potenzmitteln alles anboten. Walcher löschte sie und sandte den Absendern stille Flüche. Die Nummer fünf brachte seine Nebennierenrinde dazu, Adrenalin auszustoßen. Sie stammte aus Frankreich.
Sehr geehrter, lieber Freund Wolfgang Hoffmann, stand dort, und schon die Anrede ließ Walcher frösteln . Es folgte die Einladung zu einer exquisiten Weinprobe, bei der erlesene Spitzengewächse zur Verkostung kommen würden. Auf das Herzlichste lud ein Maurice Delwar im Auftrag des Comte de Loupin. Datum der Veranstaltung, die Uhrzeit sowie die Bitte um eine Rückmeldung, ob mit seinem Kommen zu rechnen wäre, folgten. Walcher leitete die Mail ohne Kommentar an Johannes, Hinteregger und Brunner weiter.
Mail sechs und sieben wurden gelöscht, obwohl sie Walcher persönlich und dringend aufforderten, endlich seinen Gewinn abzuholen. Unglaublich, dass es offenbar immer noch Menschen gab, die auf einen derartigen Schwachsinn hereinfielen. Höchste Zeit, dass ein Programm entwickelt wurde, das wirkungsvoll die guten von den schlechten Mails trennte.
Brunner stand als Absender Nummer acht, nur Brunner, sonst kein Stichwort oder Betreff. Im Gegensatz zu seinem Sprachstil lasen sich Brunners Nachrichten immer wie behördliche Androhungen. Walcher vermutete, dass es Teil der Beamtenausbildung sein musste, besonders wichtig, geschwollen und für den normalen Sterblichen unverständlich zu formulieren.
Sehr geehrter Herr Walcher,
hiermit teilen wir Ihnen mit, was die Untersuchungen der Kollegen in Ravensburg, den Einbruch in Ihre Büroräume betreffend, ergeben haben. Neben diversen Fingerabdrücken, die noch mit Ihren und denen Ihrer Kollegen und möglichen Besuchern abgeglichen werden müssen – wozu wir Sie auffordern, bei der Ravensburger Dienststelle vorstellig zu werden; Ansprechperson dort ist Kriminalobermeister Pfründer –, konnten aufgrund hoher Staubkonzentration im Fußbodenbereich diverse Abdrücke von Schuhsohlen sichergestellt werden. Wir fordern Sie hiermit auf, die als Anlage im PDF -Format übersandten Sohlenbilder mit denen der Benutzer der Bürogemeinschaft zu vergleichen. Binnen zehn Tagen ab Empfang dieser Aufforderung sollte der Ravensburger Dienststelle das Vergleichsergebnis mitgeteilt werden, ungeachtet eines eventuellen positiven oder negativen Ergebnisses. Darüber hinaus wurden keine weiteren verwertbaren Spuren festgestellt. Auch eine Befragung der Nachbarn ergab keine weiteren Hinweise, zumal Sie uns leider nicht den genauen Zeitpunkt des Einbruchs nennen konnten.
Diese Informationen vorab, selbstverständlich wird Ihnen noch ein ausführlicher Bericht von offizieller Seite aus Ravensburg übersandt werden.
Mit freundlichen Grüßen, Kriminalhauptkommissar Dieter Brunner.
Walcher schickte die PDF -Anlage zusammen mit einer kurzen Mail an Johannes und an seine Kollegen Böhmer und Markowiez. Dann druckte er die Anlage aus und sah sich die Abdrücke an, von denen nur einer ein auffälliges Profil zeigte. Allerdings war es nicht das Profil, sondern die schadhafte Stelle am Absatz, die dem Abdruck ein unverwechselbares Merkmal gab.
Obwohl inzwischen kurz nach ein Uhr, ging Walcher in den Flur hinunter an den Schuhschrank. Seine Auswahl war überschaubar. Für gehobene Anlässe besaß er drei Paar edle Marken, von denen er eines bisher überhaupt nur einmal
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