Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
getragen hatte, weil die Dinger schmerzhaft unbequem waren. Ansonsten standen da noch Haferlschuhe, luftig geflochtene Sommerschuhe, die Laufschuhe und seine normalen Treter, auf sportlich getrimmte Straßenschuhe, die aber ebenso gut als Sportschuhe durchgehen konnten.
Weder Geiz noch mangelnder Stil, sondern Bequemlichkeit bewog Walcher, täglich dieselben Schuhe zu tragen, bis sie derart unansehnlich waren, dass sie nicht mal mehr für den Sammelcontainer taugten, sondern in der Mülltonne landeten.
Weil er sie erst vor einem Monat gekauft hatte, wiesen sie noch das unverbrauchte Profil auf, das eindeutig mit einem der Ausdrucke übereinstimmte. Die Sohlen der anderen Schuhe brauchte er sich erst gar nicht anzusehen, keinen davon hatte er je im Büro getragen.
Da er nun schon mal im Flur war, ließ er noch Rolli vor die Tür, der diese unverhoffte Möglichkeit zur Erleichterung dankbar annahm. Zurück in seinem Arbeitszimmer setzte er sich noch mal vor den Bildschirm. Johannes, ebenfalls ein Nachtarbeiter, hatte in seinem typischen Telegrammstil bereits geantwortet.
Spitzengewächse, kannst mit mir rechnen! Schuhsohlenvergleich negativ, meine nicht dabei. Gruß Johannes.
Walcher nickte, als wollte er damit bestätigen, dass er nichts anderes erwartet hatte. Er schloss den Mailordner und öffnete Googles Suchmaschine. Zwar hatte er sich schon einmal die Homepage des Comte angeschaut, aber es nochmals über eine Suchmaschine zu probieren konnte ja nicht schaden, dachte er. Allerdings kam er auch über Google nur zu der ihm bereits bekannten Website mit dem Gemälde des Anwesens, der Anschrift samt Telefon sowie dem Hinweis, dass es dort Wein zu kaufen gab.
Durch das Fenster wehte angenehm kühle Nachtluft ins Zimmer. Draußen herrschte Nachtruhe, nur unterbrochen von vereinzelten Kuhglocken. Leise klangen Abdullah Ibrahims Tonfolgen aus dem Lautsprecher, Walcher hatte African Magic aufgelegt. Er liebte dieses Stück und wusste, dass es noch gut eine halbe Stunde dauern würde, bis die CD zu Ende war. Zeit, noch ein wenig im Internet zu suchen, dachte er und gab als Suchbegriff Pädophilie ein.
Die erste Seite, die er öffnete, zeigte eine Statistik des BKA . In jedem der vergangenen vier Jahre waren allein in Deutschland etwa 13 000 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch angezeigt worden, wobei Experten von einer wesentlich höheren Dunkelziffer ausgingen, da bestenfalls zehn Prozent der Fälle der Staatsanwaltschaft angezeigt wurden. Für die Verschleppung oder den Handel mit Kindern gab es in der Statistik keine Angaben, der Begriff existierte nicht. Walcher dachte an die Versteigerung, an Aischa und Lavra und all die anderen Kinder und nahm sich vor, beim BKA anzufragen, ob es offiziell keine derartigen Fälle gab. Heile Welt? Er schüttelte unbewusst den Kopf und öffnete die Website einer Arbeitsgemeinschaft, die Gerichtsurteile über Kindesmissbrauch gesammelt hatte, die sich durch besondere Milde auszeichneten. Da gab es tatsächlich zur Bewährung ausgesetzte Strafen für wiederholten Kindesmissbrauch, und das, obwohl die Paragraphen 176 a und 176 b unmissverständlich eine Freiheitsstrafe vorschrieben. Warum also erhielten selbst Wiederholungstäter nur geringe Gefängnisstrafen, die dann teils auch noch zur Bewährung ausgesetzt wurden? Wurde von der Justiz ein gesellschaftlich brisantes Thema bewusst kleingehalten, nach dem Prinzip, dass nicht bestraft wird, was nicht geschehen darf? Egal in welchem Land auf unserem Globus ein Fall von Kinderschändung bekannt wurde, die juristischen und politischen Konsequenzen liefen nach demselben fatalen Strickmuster der Verantwortlichen ab. Der werbewirksam präsentierten Entrüstung sämtlicher Entscheidungsträger folgte der populistische Ruf nach schärferen Gesetzen und härteren Strafen. Das war’s dann, jedenfalls bis zum nächsten Fall. Walcher las Unglaubliches. Da warb ungestraft eine »Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität« für die freie Sexualität von Erwachsenen mit Kindern, und daneben gab es seitenweise halbpornographische Darstellungen von Kindern und Jugendlichen. Zunehmendes Entsetzen baute sich in Walcher auf, bis es ihm zu viel wurde und er den Computer ausschaltete. Auch African Magic war längst zu Ende.
Walchers Entsetzen begleitete ihn noch beim Einschlafen. Alte, längst vergessene Geschichten tauchten auf. Seine Reportagen in Kriegsgebieten, große Kinderaugen. Flüchtlingslager im Sudan, nahe Al Junaynah an der Grenze zum Tschad.
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