Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
stieg die flatternde Fahne nahtlos in den Abendhimmel. Fasziniert bewunderte Walcher den Kontrast der Fahne vor dem tiefblauen Hintergrund, bis der helle Fleck verschwand. Als er sich umwandte, standen die Richter mit ihren Dolchen unmittelbar vor ihm, mit aufgerissenen Augen und Mäulern, aus denen der Geifer tropfte, ja, er roch ihren scheußlich stinkenden Atem – schreckte zurück und sah direkt vor seinem Gesicht eine riesengroße Zunge in ein riesengroßes Maul zurückfahren und darüber die erwartungsfrohen Hundeaugen seines Retters, Monsieur Rolli.
Muskelspiel
Einen großen Bahnhof bekamen sie, die entführten Tschernobyler Waisenkinder. Im russischen Fernsehen lief tagelang kaum etwas anderes als Berichte über sie.
Die Präsidentengattin war, begleitet von einem Ärzteteam und einer ganzen Abteilung Krankenschwestern, mit der Maschine des Präsidenten in die Staaten geflogen, um die Kinder höchstpersönlich abzuholen. In aktuellen Sonderberichten wurde ausführlich über das kürzlich erbaute Waisenhaus bei Moskau berichtet, in dem die Kinder in Zukunft leben würden. Eindrucksvoll demonstrierte die freie Presse ihre Macht, denn die ganze russische Nation fieberte der Rückkehr der verlorenen Kinder entgegen.
Das Waisenhaus wurde gezeigt, in das sich ein scheinbar nicht endender Geschenkestrom aus allen Landesteilen ergoss: Plüschtiere, Blumen, Kleidung, Sportgeräte, Lebensmittel, ja sogar mehrere Flaschen Wodka waren darunter. Die Bevölkerung nahm derart großen Anteil am Schicksal der Kinder, dass die Leitung nach einer Woche dringend bat, von weiteren Geschenken abzusehen, das Haus sei voll. Interviews mit Moskauer Bürgern unterstrichen die Freude über die Rückkehr »ihrer« Kinder. Doch man gab sich nicht nur dem überbordenden Gefühl kollektiver Kinderliebe hin, auch Staatsanwaltschaft und Polizei präsentierten sich in bestem Licht. Täglich berichteten die Sender über die Verhaftung von Menschenhändlern und die Aushebung von ganzen Banden solcher krimineller Elemente. Es hieß, dass die längst laufenden Ermittlungen der Grund für die schnellen Erfolge der jüngsten Zeit gewesen wären. Der russische Präsident sagte dem Menschenhandel den Krieg an, mit aller Härte werde man dagegen vorgehen. In einer für ihn ungewöhnlich emotionalen Ansprache, die auf allen Kanälen in voller Länge ausgestrahlt wurde, forderte er die Bürger Russlands zu erhöhter Wachsamkeit auf und kündigte härtere Gesetze an. Die Jagd auf diese Verbrecher sei eröffnet, erklärte er, vermutete allerdings die wahren Schuldigen in den entarteten Teilen dekadenter westlicher Gesellschaften. Aus dem Westen wäre noch nie etwas Vernünftiges gekommen, zählte er auf, Napoleon, Hitler und jetzt auch noch Kinderschänder. Es sei an der Zeit, sich alter russischer Tugenden zu besinnen. Kinder, Söhne und Töchter Russlands seien die Zukunft des Landes und stünden deshalb unter seinem persönlichen Schutz. Nicht ruhen wolle er, bis sich jedes vermisste Kind wieder in den Armen seiner Mutter befand. Mit einem Land, dem es nicht gelänge, die eigenen Kinder zu schützen, so schloss er seine zweistündige Rede, stimmte etwas nicht.
Die auf Menschenhandel spezialisierten Banden in Russland schränkten vorübergehend ihre Aktivitäten ein und verschoben die für die nächste Zeit geplanten Transporte, das war alles.
Der Staat ließ seine Muskeln spielen. Mobile Einsatzkommandos kontrollierten auf allen Transitstraßen, worüber das Fernsehen ausführlich berichtete. Nicht thematisiert wurde natürlich, dass die Polizei so gut wie keine Erfolge vorweisen konnte. Der russische Bär schüttelte sich mal kurz, schreckte die Flöhe in seinem Fell auf – um dann gemütlich weiterzuschlafen.
Brandnarben
Zwei hübsche Gesichter lächelten ihn an. Beide Frauen hatten sinnlich rot geschminkte Lippen, und ihre Augen strahlten verheißungsvoll. Sie trugen ihre Haare hochgesteckt, was gut zu ihrer Kleidung passte. Walcher erinnerten sie an Frauen in Monumentalschinken wie »Ben Hur« oder »Kampf um Rom«. Die zauberhaften Geschöpfe hielten ihn an den Armen fest, die eine seinen linken, die andere seinen rechten Arm. Er lag mit dem Bauch auf einer Schräge, so schien es ihm. Er lächelte und wollte die Damen fragen, was das für ein Spiel wäre, das sie da mit ihm spielten, ob sie Vestalinnen wären und er das Opferlamm. Aber er brachte keinen Ton heraus, weil in seinem Mund ein Knäuel aus Leder oder so etwas steckte.
Die
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