Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
einer halben Stunde unter der Dusche.
Irmi brüllte ihm durch die Tür zu, dass sie zum Bus musste, ihr Handy dabei und das Gespräch von gestern noch im Kopf hätte, am Nachmittag bei ihrer Freundin Annina wäre und mit dem Bus um sechs zurückkäme. Walcher brüllte zurück, wo sie zu Mittag essen würde, und hörte noch ein »Oma«, bevor die Haustür knallte.
Als Walcher mit seiner Morgentoilette fertig war, hörte er Rolli auf der Terrasse in einem geradezu entrüsteten Ton bellen und ließ ihn ins Haus. Der Hund hatte vermutlich Irmi zur Bushaltestelle begleitet und dann vor ungewohnt geschlossenen Türen gestanden.
Nach dem Frühstück saß Walcher mit der Zeitung auf der Terrasse und hörte den Postboten auf den Hof rattern. Edwin Huber jagte im Sommer bei schönem Wetter mit seiner privaten Geländemaschine durch die Gegend und hatte Walcher wiederholt zu einem kleinen Ritt in die Kiesgrube eingeladen, seit er seine Kawasaki in der Garage entdeckt hatte. Walcher hatte abgelehnt, nicht nur weil Huber vermutlich in der Lage war, das halbe Allgäu auf dem Hinterrad zu durchqueren, sondern weil Walcher nicht annähernd dessen Risikobereitschaft besaß. Er hatte zufällig beobachtet, wie Huber in der Kiesgrube trainierte und dabei Steilstücke hinauf-und hinunterjagte, die Walcher bereits als senkrecht bezeichnete. Hatte er davor durchaus mit dem Gedanken gespielt, sich einem Vergleich mit Hubers Fahrkünsten zu stellen, selbst bei einer haushoch drohenden Niederlage, so war die Sache nach dieser beeindruckenden Demonstration für ihn erledigt. Solche Steilstücke bewältigte ein normaler Mensch nicht ohne Seilsicherung, geschweige denn mit einem Motorrad.
Mit laufendem Motor, ohne vom Krad abzusteigen, hatte Huber die Post in den Schlitz der Haustür gesteckt und war in derselben Geschwindigkeit und Phonstärke vom Hof gedonnert, wie er gekommen war. An diesem Morgen öffnete Walcher gedankenlos den obersten Brief des Stapels, ohne wie sonst vorher auf den Absender zu sehen.
Auch wenn ihm seine Demonstration bürgerlichen Ungehorsams als Unreife ausgelegt werden konnte, verhielt sich Walcher bei Behördenpost starrsinnig und ließ sie einige Tage liegen, bevor er sie öffnete. Nicht so an diesem Morgen, weshalb er den Brief der Staatsanwaltschaft Kempten bereits überflog, ehe er feststellte, dass es sich um Behördenpost handelte, und was für eine! Im ersten Moment glaubte er an einen Scherz, aber dann wurde ihm klar, dass der Absender unter Humor sicher etwas anderes verstand.
Ein Staatsanwalt mit dem treffenden Namen Dünnebrot hatte unter dem Aktenzeichen 1 Ks 212 Js 225339/07 ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Die mit Paragraphen bestückte Aufzählung der Ermittlungspunkte beschränkten sich zwar auf Verdachtsmomente, wie Verdacht auf Entführung zweier Minderjähriger, Verdacht auf Verletzung der Einreisebestimmungen für Personen aus Staaten mit Visumspflicht, Verdacht auf vorsätzlich unterlassene Meldepflicht bei der zuständigen Zuzugsmeldebehörde …, aber die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens kündigte in jedem Fall eine Menge Ärger an.
Walcher schüttelte einige Male ungläubig den Kopf. Das Schreiben las sich, als wäre es von einer TV-Redaktion verfasst, die in den nächsten Minuten mit einem Kamerateam auf dem Hof stehen würde, um ihn zu interviewen. Vor allem der Schluss hatte es in sich. Da klärte ihn der Staatsanwalt auf, … dass am Ende eines Ermittlungsverfahrens stets die Entscheidung stehen muss, ob nun eine öffentliche Klage zu erheben sei oder das Verfahren – unter Umständen mit Auflagen – eingestellt wird. Unter Anbetracht der Beteiligung staatlicher Behörden, wie dem Kriminalkommissariat Lindau und dem Jugendamt München, sehen wir von weiteren Ermittlungen der oben aufgeführten Verdachtsmomente ab, jedoch unter Ausschluss des Verdachts der Überschreitung des § 230, Grenzen der Selbsthilfe …
Ja, was sollte denn diese Idiotie, dachte Walcher entrüstet und wählte spontan Brunners Nummer, obwohl der um diese Zeit seinen Arbeitstag vermutlich noch nicht begonnen hatte. Brunner meldete sich aber sofort, allerdings verrieten die Hintergrundgeräusche, dass er gerade im Auto saß. Er hörte sich Walchers Anklage gegen Dünnbrettbohrer im Staatsdienst und deren Schaumschlägerei geduldig an und meinte schließlich ruhig: »Was wollen Sie, Sie werden nicht angeklagt. Und sachlich betrachtet haben Sie nun mal gleich gegen einen ganzen Haufen von
Weitere Kostenlose Bücher