Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
darüber reden. Als sich warme Feuchtigkeit auf seinem linken Schenkel ausbreitete, bemerkte Walcher endlich Rolli, der dort seine Schnauze aufgelegt hatte und ihn anstarrte.
Der Hund sabberte auf seine Hose, auch der leidende Blick seiner braunen Augen war deutlich, weshalb Walcher aufstand und die Terrassentür öffnete. Wie ein Blitz jagte Rolli in den Garten, und Walcher folgte ihm langsam.
Wolkenlos war der Nachthimmel und von unzähligen Sternen erleuchtet. Nach ein paar Schritten hinaus aus dem Lichtschein der Küchenlampe nahm ihre Leuchtkraft deutlich zu. Und dann die vielen unterschiedlichen Düfte! Es hatte lange gedauert, bis seine Stadtnase hier auf dem Land wieder verstanden hatte, was Düfte alles erzählen können. Frisch geschnittenes Gras zum Beispiel, dessen unverwechselbarer Duft vom Hang am Wald herüberzog oder von zwei Feldern daneben, wo es schon beinahe getrocknet war und eingefahren werden konnte. Dazwischen mischte sich kalter Brandgeruch der alten Scheune, die vor drei Tagen in Flammen aufgegangen war, mehr als fünf Kilometer weit entfernt. Auch die Kühe, die den ganzen Sommer über auf der Wiese des Nachbarn standen, konnte Walcher riechen. Manchmal, wenn er den Kopf freibekommen wollte, ging er auf die Wiese und schloss die Augen. Meist lehnte er sich dabei an den Holzpfahl, den er als Landeplatz für Greifvögel in den Boden gepflanzt hatte. So konnte er sich besser auf seine Nase konzentrieren und fühlte sich auch sicherer. Denn manches Mal war ihm schwindlig geworden, vor lauter Konzentration auf die Gerüche und den automatisch ablaufenden Abgleich mit gespeicherten Erinnerungen im Kopf. Geschmack und Geruch ergaben ein unglaubliches Ordnungssystem für erlebte Eindrücke.
Der Holzpfahl zum Beispiel. Als er dort das erste Mal stand, hatte er nicht nur die tagsüber gespeicherte Sonnenwärme wahrgenommen, sondern auch die feinen Duftspuren, mit denen der Pfahl von seinem Leben als junger Tannenbaum erzählte.
Die Haare seiner Mutter dufteten so. Flüchtig huschte ihr Bild vorbei. Niemals hatte er je von ihr wieder etwas gehört, seit sie eines Tages den Vater, ihn und seinen Bruder verlassen hatte. Die Jüngste, die Schwester, hatte sie mitgenommen. Was mochte aus ihnen geworden sein? Ob die Mutter noch lebte? Sie wäre jetzt weit über achtzig Jahre alt. Walcher hatte schon als Junge alles Mögliche versucht, den Weg der Mutter zu verfolgen, aber sie blieb verschwunden, so als hätte es sie niemals gegeben. Auch wenn seine Spurensuche damals erfolglos geblieben war, was die Mutter und Schwester betraf, so hatte sie in jedem Fall seine Leidenschaft für die Jagd geweckt.
Seither hatte er sich mehr und mehr zu einem Jäger entwickelt, meist den dunklen Seiten der Menschen auf der Spur, und er täuschte sich dabei auch nicht mit ausschließlich ethischen Beweggründen als Antrieb seines Tuns, sondern gab zu, dass ihm die Jagd einen hohen Lustfaktor bescherte. Allerdings verfolgten ihn furchtbare Ereignisse, wie die Ermordung seiner Freundin Lisa oder Johannes’ unfreiwillige Organspende, mit der Frage, inwieweit er seiner Lust an der Jagd frönen durfte, wenn er dabei Menschen gefährdete. Und nun auch noch Irmi.
Lange stand Walcher draußen auf der Wiese, bis er sich einen Ruck gab, nach Rolli pfiff und zurück ins Haus ging. Zwar blieben seine Bedenken nicht draußen vor der Tür zurück, aber er musste sie erst einmal zurückstellen. Längst hatte er schmerzhaft seine Lektion lernen müssen, dass es sich nicht lohnte, wegen einer halben Sache bedroht zu werden. Schon deshalb würde er sich nicht einschüchtern lassen, jedenfalls nicht, bevor er seine Recherche abgeschlossen hatte.
Vor dem Weg hinauf in sein Zimmer musste er Rolli wieder einmal klarmachen, dass der obere Stock für ihn immer noch tabu war, auch wenn den Kindern zuliebe diese Vorschrift kurzzeitig ausgesetzt worden war.
Während der PC hochfuhr, schlich sich Walcher zur Treppe, um zu kontrollieren, ob Rolli nicht doch versuchte, ihm nachzukommen, aber der saß noch unten vor der ersten Stufe, allerdings mit beleidigt gesenktem Kopf. Walcher ging zurück und setzte sich an den PC . Zuerst schickte er Johannes eine Mail, in der er nach Neuigkeiten über Jeswita Drugajew fragte. Dann las er die eingegangenen Mails.
Mit verhaltenem Groll löschte er die wachsende Anzahl von Werbemails und fluchte, als er beinahe das Kaufangebot des italienischen Menschenhändlers gelöscht hätte, zu dem er parallel zum Comte
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