Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
zögernd die durch sein Kommen unterbrochene Unterhaltung fort. Aktuell beschäftigte sie der Bußgeldbescheid eines Landwirts aus Simmerberg, dem »se« im Tank seines Autos subventionierten Landwirtschaftsdiesel nachgewiesen hatten. Als »se« wurde im Allgäu alles bezeichnet, was zur Obrigkeit gehörte oder ansonsten unbeliebt war. Danach kamen »se« dran, in diesem Fall die Hundehalter, die ihre Köter auf die Wiesen scheißen ließen, dass man Gras und Heu nicht mehr verfüttern oder nur noch als Einstreu nehmen könne. Es folgten Milchpreis, Steuern, Wetter, Politiker, dass es eine neue EU -Vorschrift gäbe, die den Landwirten bei Arbeiten im Stall vorschreibe, eine Atemmaske zu tragen und beim Melken einen Mundschutz und Einmalhandschuhe.
Der Diskussion, ob nun der Mundschutz unter der Atemmaske oder darüber zu tragen sei, weil ja meist im Stall gemolken wurde, folgten einige Beispiele ähnlich sinniger Vorschriften der EU -Beamten. Walcher genoss die oft witzigen bis zynischen Beiträge und kam sich manchmal vor, als säße er mitten unter Kabarettisten, die für den nächsten Auftritt probten.
Besonders gut gefiel es ihm, über dieses und jenes, den Lauf der Welt im Allgemeinen und speziell über die Spezies Politikus zu palavern und dabei ganz nebenbei den Bierabsatz heimischer Brauereien zu fördern.
Irgendwann zwischendrin meinte der Vormooser Josef, dass sich jemand bei ihm nach ihm, dem Herrn Journalisten, erkundigt hätte und wo er denn wohnen würde. Walcher war, auch wenn inzwischen das dritte Pils vor ihm stand, sofort hellwach und fragte nach, wobei er es vermied, eine besondere Neugier an den Tag zu legen.
»Und, was wollt’ er?«
»Des hot er it gsait.«
»Wie hat er denn ausgesehen?«
»Ha, jong, mit so era Lederjacka.«
»Wie hat er gesprochen?«
»Ha, wia d’ Russa.«
»Wann war das?«
»Ha, so vor zwoi Wocha.«
»Der war vermutlich von der Zeitung«, versuchte Walcher den Wert von Vormoosers Information klein zu halten, denn die Einzelgespräche der Stammtischrunde waren von einem Moment zum anderen abgebrochen, stattdessen hörten alle sehr aufmerksam zu. Walcher musste sich beherrschen, nicht zu schmunzeln, ihm war nämlich eingefallen, was Frau Zehner ihm noch für den Stammtisch mitgegeben hatte: »Am Stammtisch fragt und erzählt man nur, was man verbreitet haben will.«
Da er nichts zu verbreiten hatte, steuerte Walcher das Thema auf die Touristenplage, von der man zwar ganz gut lebte, dafür aber mit der Preisgabe der Privatsphäre bezahlen musste.
Ebenso schlagartig, wie noch eben gespannte Aufmerksamkeit geherrscht hatte, begann nun eine vielstimmige Diskussion. Offensichtlich hatte Walcher ein Thema angesprochen, das über einigen Sprengstoff verfügte. Wie Windböen wechselten Reden und Gegenreden, und von der oft zitierten Allgäuer Bedächtigkeit war jetzt wenig zu erkennen, es klang eher wie der Tumult vor dem Sturm auf das Rathaus. Eine gute Gelegenheit, sich mit einem »Pfüa Gott« zu verabschieden, was im Lärm unterging und nur von den beiden direkten Tischnachbarn wahrgenommen und erwidert wurde. Die Nacht war mild und sternenklar, und nach dem Aufenthalt in der verqualmten Gaststube – die Wirtsleut, selbst Raucher, warnten am Eingang ihrer Gastronomie alle Nichtraucher vor der »Rauchwirtschaft« – tat die frische Luft besonders gut.
Walcher trank selten Bier, er vertrug es nicht. Etwas unsicher auf den Beinen spazierte er langsam zum Parkplatz vor der Kirche und fuhr ebenso langsam zu seinem Hof, in der Hoffnung, nicht der Polizei zu begegnen. Aber er kam ohne unfreiwilligen Zwischenstopp zu Hause an. Einer von den Stammtischbrüdern hatte eben noch gemeint, dass die gefährlichste Zeit auf den Straßen des Allgäus zwischen elf und zwölf Uhr abends wäre, weil dann die meisten Kneipengänger auf dem Nachhauseweg wären.
Bevor er ins Bett ging, ließ er Rolli hinaus und notierte sich, was der Vormooser erzählt hatte. Lederjacke, Russe und das Datum. Die Beschreibung war zu dürftig, um damit bei den Hotels im Umkreis nachzufragen. Mit zurückliegenden Recherchen hing das Auftauchen des Mannes seiner Einschätzung nach nicht zusammen, in den Fällen wussten alle, die es herausfinden wollten, wo er wohnte. Also konnte es sich nur um jemanden handeln, der aus dem Dunstkreis der Menschenhändler stammte, dazu passte auch der Anruf, diese telefonische Drohung. Es konnte nicht schaden, wenn er Brunner darüber informierte, dass er die nächsten
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