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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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Göbel ins Rote Falkenschloss ging.
    Elisabeth blieb ohne Entschuldigung vom Flachsriffeln weg,
ging die fünf Stunden ohne Pause und ließ sich von einem Burschen den
Weg zum Zimmer des Sekretärs beschreiben. Dort angekommen, wischte sie
mit dem Handrücken die vom Schweiß noch wirrer gelockten Haare aus der
Stirn und öffnete dann, ohne zu klopfen, die Tür.
    Johann Michael Göbel erschrak, als das
Mädchen so plötzlich kaum zwei Meter vor seinem Schreibpult stand.
Anfang zwanzig vielleicht, weich und gerundet – sündhaft,
gotteslästerlich und unkeusch also. Der Falkensekretär wollte dieser
schlimmen Versuchung mit barschem Ton Einhalt gebieten, doch Elisabeth
kam ihm zuvor und zog den großen Brief aus ihrer Schürzentasche hervor.
    »Der Brief ist vom Markgrafen für mich, ich kann aber nicht
lesen«, sagte sie, brach das Siegel und legte ihn vor Göbel auf das
Pult. »Würde der Herr Sekretär mir bitte sagen, was darin steht?«
    »Ach ja, lass sehen.«
    Göbel war ein Mann, der für einen Bauernsohn ohne Bildung und
Protektion eine beachtliche Karriere machte. Er arbeitete penibel und
ungeheuer fleißig. Er hatte ein feines Matrixsystem der sauberen
Spalten und Gitter mit Zwischensummen, Übertragsrechnungen und
Nachschlagregistern ausgetüftelt, das der Markgraf persönlich lobte,
weil sich damit die gesamte Falknerei erfassen ließ. Alle Posten von
den Pferdekadavern, um die Milane anzuludern, über die Hunderte Tauben
zur täglichen Atzung bis hin zu den Uniformen der Falkner ordneten sich
in kleinen, deutlich geschriebenen Zahlen.
    Nicht dass sich der Markgraf über den dank Göbel ablesbaren
rasanten Anstieg der Ausgaben Sorgen gemacht hätte – um Geld
mochten sich solche Krämerseelen wie der königliche Schwiegervater
kümmern. Aber er fand Göbels Tabellen, denen man entnehmen konnte, wie
viele Reiher oder auch Krähen er in diesem Mai verglichen mit dem Mai
1731 gebeizt hatte, außerordentlich modern. Er ließ von allen Tabellen
Kopien an seine Tante, die Königin von England, und auch eine an den
König von Neapel schicken. Der König von Neapel, das wurde ihm vom
österreichischen Botschafter zugetragen, beneidete ihn um seinen Ruf,
der glänzendste Falkner Europas zu sein.
    Göbel brauchte für seine zähe Arbeit Ruhe.
Deshalb hasste er Überfälle wie Elisabeths Besuch in seinem engen
Zimmer, an dessen Wänden sich braune Aktenbände stapelten, wo gespitzte
Federkiele, nachtblau gefüllte Tintenfässer, geschnittene Papierbögen
und lange Lineale aus poliertem Kirschbaum jederzeit griffbereit waren.
Hinzu kam, dass ihn ihre Person von Minute zu Minute mehr beunruhigte.
Täuschte er sich, oder schaute sie ihn aus ihrem rosigen Engelsgesicht
regelrecht dreist an? Schnell nahm er ihr den Brief aus der Hand und
überflog den Text.
    »Und was schreibt er mir?«
    Elisabeth wippte auf den Zehenspitzen schon wieder gefährlich
weit in seine Nähe.
    »Also«, murmelte Göbel und schaute sie einmal, aber nur ganz
kurz, an, dann versenkte er sich wieder in den Text.
    »Du wirst am Siebenundzwanzigsten des Monats von zu Hause
abgeholt und mit einer Kutsche nach Ansbach gebracht. Du sollst im
Schloss bei der Weißwäsche arbeiten und auch da wohnen.«
    Göbel scharrte leicht mit den Füßen am Boden und wusste nicht,
wie er ihr die nächsten Formulierungen beibringen sollte. Sie
wortwörtlich vorzulesen, hielt er für unschicklich. Außerdem verstand
das dumme Ding wohl kaum die Sprache des Hofes. Er würde kostbare Zeit
sparen, wenn er ihr diese spezielle Stelle zusammengefasst mitteilte.
    »Was steht noch drin, lesen Sie doch weiter, ich muss wieder
nach Hause!« Elisabeth schaute weiter süß und lieblich, aber sie
sprach, als wäre sie es gewohnt, Befehle zu erteilen. Dabei krümmte sie
auch noch alle zehn Finger um den Rand seines Pultes, so dass er
unweigerlich die entzückenden kleinen rosa Muscheln ihrer Nägel, unter
denen der Dreck stand, betrachten musste.
    »Das Wohlwollen und die besondere Aufmerksamkeit des
Markgrafen werden dir zuteil«, schnurrte Göbel hastig herunter. Dann
faltete er den Brief, zögerte noch, ob er ihr ihn zurückgeben sollte,
tat es dann aber doch.
    »Vielen Dank, Herr Sekretär, und auf Wiedersehen.«
    »Bild dir bloß nichts ein, da bist du genauso schnell wieder
weg, wie du gekommen bist«, zischte Göbel.
    Elisabeth antwortete ihm mit einem kleinen Lächeln. Sie konnte
zwar weder lesen noch schreiben, lernte aber schnell. So schnell, dass
sie verstand, dass

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