Falkenjagd
brauchen, das außer tanzen, huren und französischem
Klimbim nichts im Kopf hatte und dabei nicht einmal schlau genug war,
sich mit reichen Männern ins Bett zu legen?
»Und warum braucht sie Euch?«, knurrte Elisabeth, obwohl sie
lieber geschwiegen hätte.
»Weil sie nur so ihre Gefangenschaft aushält. Außerdem bin ich
der einzige Mensch, den sie wirklich liebt. Das weiß sie. Ob sie
allerdings auch weiß, dass sie der einzige Mensch ist, den ich liebe,
weiß ich, ehrlich gesagt, nicht.«
Zum ersten Mal bemerkte Elisabeth, dass das Freifräulein nicht
nur Grimassen schneiden oder spöttisch schauen konnte, sondern auch
ernst.
»Ach so«, antworte Elisabeth nur und packte Fritz am Kragen,
damit er mit ihr hinunterging. Mit einem Mal verstand sie sehr genau,
was Caroline meinte. War sie nicht auch der einzige Mensch, der dem
Markgrafen die Liebe gab, die er brauchte? Da hörte sie, wie Caroline
ihr munter wie eh und je nachrief: »Sie sollten lesen lernen und
schreiben gleich auch noch.«
Elisabeth drehte sich abrupt um.
»Der Markgraf würde das, glaube ich, nicht erlauben.
Vielleicht bin ich auch zu dumm …«
»Papperlapapp, die Markgräfin sagt, Sie sind sogar sehr
gescheit.«
Vor Freude lief Elisabeth rot an.
»Aber der Markgraf darf nichts davon wissen, sonst …«
»Von mir hier oben darf er ja auch nichts wissen, also wären
wir quitt. Geheimnis gegen Geheimnis. Schreibpapier hab ich genug
dabei, wir fangen gleich nach dem Mittagessen an.«
Von da an kam Elisabeth jeden Tag zu einer
Unterrichtsstunde. Manchmal schaukelte sie dabei die kleine Eleonore
auf ihrem Schoß. Hin und wieder stand sie auch plötzlich auf, klatschte
ihren Bogen Papier auf den Boden und rannte wütend die Stiege hinunter,
weil sie das Gefühl hatte, es würde ihr niemals gelingen, die Kringel,
Schleifen, Auf- und Abstriche so schön zu ziehen, wie Caroline sie ihr
vormachte. Aber sie gab nicht auf. Nach einer Viertelstunde kam sie
wieder hoch, Caroline tat, als ob nichts gewesen wäre, und Elisabeth
fing von Neuem an. Nach einer Woche konnte sie ganz passabel ›Elisabeth
Wünschin von Georgenthal‹ schreiben und auch den Satz ›Heute habe ich
tausend Gulden beim Juden Salomon Grünstein in Frankfurt mit fünf
Prozent Zinsen angelegt‹.
Caroline hatte den Vorschlag, Elisabeth zu unterrichten,
eigentlich nur gemacht, weil sie sich während der langen Tage auf dem
Dachboden schrecklich langweilte. Bald aber entdeckte sie den Spaß
daran. Die Wünschin war wirklich nicht dumm. Außerdem steckte ihre
Begeisterung, täglich ein neues Wort entziffern zu können, an. Beide
lachten gern. Aber so viel Gemeinsamkeit hätten sich sowohl Caroline
als auch Elisabeth nie eingestanden.
Friederike ging es währenddessen gar nicht
gut. Ohne Carolines gute Laune und schöne Stimme war der Trübsinn des
Hofes kaum auszuhalten. Fahrig und ruhelos strich sie wie eine Katze
auf fremdem Terrain durch die Säle, ihre stummen Hofdamen wie einen
Schwanz hinter sich herziehend. Zu allem Übel musste sie zur
Abwesenheit des Fräuleins von Crailsheim auch noch wohlwollend nicken,
denn offiziell hatte sie Caroline ihrer nach einer Fehlgeburt leidenden
Braunschweiger Schwester als Vorleserin ausgeliehen. Provozierend oft
fragte der Zwerg Heistermann sie nach dem Verbleib ihrer Favoritin.
»Du Aas«, hämmerte es in ihrem Kopf. Laut und überschwänglich
liebenswürdig, aber ohne auf seine Frage einzugehen, sagte sie zu ihm:
»Lieber Heistermann, Ihre neue Bernsteinbrosche ist superb. Wenn ich
mich nicht täusche, hat Monsieur, der Bruder Ludwigs XIV. ein ähnliches
Stück selbst entworfen.«
Das nächste Mal konterte sie mit dem verlogensten Kompliment
zu seiner kükengelben Weste. Auch jetzt blähte er sich wieder vor
Stolz. Erst als er ihren Reifrock durch die nächste Tür verschwinden
sah, merkte er, dass sie ihn ausgetrickst hatte. Sie hat es gelernt,
die Spielchen zu spielen, dachte der Zwerg nicht ohne Anerkennung. Wer
weiß, so überlegte er, am Ende sogar von mir. Grimmig watschelte er zu
seiner Sänfte.
Es wurde Mai, und der Markgraf, der Erbprinz
und der ganze Hof siedelten wie immer um diese Jahreszeit ins
Triesdorfer Sommerschloss über. Dass die Markgräfin nicht mitkommen
würde, galt als unausgesprochener Befehl. Was ihr nur lieb war. Sie
hatte längst beschlossen, endlich wieder nach Schwaningen zu ziehen.
Dort brauchte sie ihren Kummer wenigstens nicht zu verstecken. Er
begleitete sie, wenn sie ihre Felder abschritt, auf denen
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