Falkenjagd
Bayreuth mit einem hinterfotzigen
Lächeln geschenkt.
Dann trafen nur noch schlechte Nachrichten
ein. Der junge Prinz Albrecht von Braunschweig-Bevern, der Schwager
ihrer Schwester Lottine, war in der Schlacht bei Soor gegen das
vereinte Heer der Österreicher und Sachsen gefallen. Friedrich hatte,
so hörte sie, toll und überheblich, wie er war, die Gefahr provoziert.
Dann lagen auf einmal über Nacht achtzig Schweine mit grünblasigem
Schaum vor dem Maul auf dem Stallboden. Niemand wusste, was ihnen
fehlte. Innerhalb von zwei Tagen waren sie alle verreckt. Man wagte
nicht, ihr Fleisch zu essen, und verbrannte sie.
Im Oktober zogen verheerende Stürme vorüber,
und es schüttete oft tagelang. Von ihren geliebten Lindenalleen brachen
oberarmdicke Äste ab. Man hatte große Mühe, die Rüben aus der
matschigen, schweren Erde zu ziehen. Friederike beobachtete oft von
ihren Fenstern die durchnässten, gekrümmten Gestalten, die sich
Wolltücher über Kopf und Gelenke gewickelt hatten und in der Dämmerung
vom Feld nach Hause wankten, wobei sie kaum noch die Füße vom Boden
heben konnten. Wenigstens brauchten diese Menschen nicht mehr wie noch
vor wenigen Jahren zu hungern, sondern konnten sich nach der schweren
Arbeit auf ein warmes Essen mit Kartoffeln in Sauermilch freuen.
Irgendwann holte sie sich auf einem ihrer Spaziergänge,
vielleicht hatte sie auch zu lange neben ihrem Spaniel im feuchten Laub
gesessen, einen Husten, und Caroline verbot ihr, bei dem Wetter
hinauszugehen oder zu baden.
Sie ließ die gesunden Schweine isolieren und
befahl, noch häufiger auszumisten. Als keine weiteren erkrankten, die
Rüben gezogen und alle Kartoffeln vorschriftsmäßig eingelagert waren
und zu ihrer Freude kurz hintereinander vierzehn Stierkälber auf die
Welt kamen, begann sie sich zu langweilen. Ihr Husten aber blieb
hartnäckig. Sie streifte nur durch das Schloss, mäkelte an den Hofdamen
herum, spielte ein bisschen Tricktrack mit Caroline, fühlte sich aber
so trübsinnig wie schon lange nicht mehr.
»Ist das Melancholie, Caroline?«
Caroline, die so eine Stimmung nicht kannte, schob sich ein
Stück Orangenkuchen in den Mund, süß und ein bisschen klebrig wie der
junge Bartenberg, der ihr, nachdem sie ihn entjungfert hatte,
schwülstige Briefe schrieb und sie bat, mit ihm zu fliehen.
»Vielleicht könnten wir mal wieder ein Fest geben und Leute
einladen?«
Friederike hatte für diesen Vorschlag nur einen langen Seufzer
übrig. Caroline startete einen neuen Versuch:
»Oder wir siedeln für ein paar Wochen in die Residenz um? Der
Karneval beginnt gerade.«
Friederike wusste, wie sehr sich Caroline wünschte, am
Karneval teilzunehmen. Sie selbst hatte dazu keine Lust. Noch wettete
Heistermann, so hatte sie gehört, große Summen darauf, dass die
Hugenottin der offizielle Bettschatz des Markgrafen werden würde und
man die Wünschin abschreiben könnte. Fast niemand wagte dagegenzusetzen.
Also verbrachten sie die Tage weiter in der Schwaninger
Bibliothek. Die Hofdamen arbeiteten brav und ordentlich an ihren
Filetstickereien. Caroline investierte ihre unverbrauchten
Leidenschaften in einen der neuesten englischen Abenteuerromane und las
unterhaltsamer vor denn je. Friederike zwang sich, dabei die Buchreihen
abzugehen, immer hin und her, damit die Spannkraft ihrer Beine nicht
nachließ. Gerade hörte sie Caroline sagen: »Der Kapitän der Mary wollte schon die Segel setzen lassen, als am Horizont die
Schiffe der Piraten auftauchten«, als eine der Hofdamen vor Schreck
leise aufschrie. Friederike blieb abrupt stehen. Ihr Blick fiel auf
einen breiten Buchrücken. Sie bog ihren Hals nach links und entzifferte
den in winzig kleinen Goldbuchstaben aufgedruckten Titel: Künstliche
Zerlegung menschlichen Leibes des hochgelehrten und weitberühmten Herrn
Dr. Caspari Bartholini itzo durch Anordnung Sr. Simonis Paulli Med. Anat. Ac Botan. P.P. In der
Königlichen Academie Kopenhagen
allen Wundärzten zum Nutzen ins Deutsche übersetzt 1648.
Sie erinnerte sich daran, dass sie das Werk vor vier, fünf
Jahren bestellt, dann aber vergessen hatte, als der Hunger in
Schwaningen wütete und Bücherlesen Zeitvergeudung war. Jetzt zog sie es
heraus und lümmelte sich damit in einen Sessel. Vieles, das merkte sie
sofort, war überholte Scharlatanerie aus dem vergangenen
abergläubischen Jahrhundert. Dann aber kam Dr. Paulli auf einen
gewissen Harvey zu sprechen und das, was er dessen ›Spekulationen zum
Blutkreislauf‹ nannte. Sie
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