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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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verstand nicht allzu viel, aber doch so
viel, dass sich Paulli über etwas lustig machte, was ihr recht
vernünftig und plausibel vorkam.
    Sie betrachtete die Sammlung von achtundsiebzig anatomischen
Kupfertafeln des Professors Cassario aus Padua, die Paulli ebenfalls
mit deutschem Text versehen herausgebracht hatte. Sie waren
hervorragend gut gestochen. Noch nie hatte sie die Maschinerie der
menschlichen Organe und Knochen so detailliert gesehen. Sie bemerkte
nicht, dass Caroline und die Hofdamen den Raum verließen und ihr eine
Zofe warme Brühe brachte. Besonders fasziniert war sie von der
Darstellung der Frucht im Mutterleib und der Gallenblase. Als sie bei
den vier Tafeln mit den Blutgefäßen ankam, fiel ihr wieder der Name
Harvey ein. Harvey und die Entdeckung des Blutkreislaufes. Was wusste
sie mit ihren einunddreißig Jahren davon? Nichts. Das war, so befand
sie, fast ebenso schlimm, wie nichts gegen den Hunger der Untertanen zu
unternehmen. Stand Harvey in ihrer Bibliothek? Caroline wurde aus ihrem
Bett geholt. Zusammen gingen sie in rasender Geschwindigkeit die
Buchreihen durch. Vergeblich.
    Es dauerte über eine Woche, bis eine Ausgabe
aus Leipzig kam. Als man sie ihr brachte, saß sie gerade bei ihrer
Morgentoilette. Ihre Zofe war schon dabei, eine frische Schminkmasse
aus Blei, Zerussit, Wismutpulver und Bleiessig zusammenzurühren, was
tatsächlich immer das schönste Weiß für das Gesicht ergab. Auch die
Tiegel mit dem Wangenrot und der Pomade standen schon bereit. Nein, sie
war einfach zu neugierig. Sie konnte nicht mehr warten. Sie wollte
sofort das Buch in Empfang nehmen und die Seiten aufschneiden. Heute
Morgen würde sie so bleiben, wie sie war! Wer sah sie auch schon, außer
den Hühnern und den Hofdamen. Friederike zog den seidenen Umhang von
den Schultern, schnappte sich das Buch und ließ die Zofe den Tränen
nahe zurück.
    Was ihr gleich gefiel, war, dass dieser
Engländer unzählige Experimente an Tieren und Menschen durchgeführt
hatte und diese genau beschrieb. Er hatte ihre Venen unterbunden und
Blut von Menschen auf Tiere und umgekehrt transfusioniert. Oft war der
Ausgang tödlich gewesen, das verschwieg er nicht. Auch diese
Ehrlichkeit schätzte sie. Schließlich musste jede Annahme oder ihr
Gegenteil empirisch belegt werden, immer und immer wieder. Dass es
dabei zu Pannen kam, war klar. Schließlich imponierte ihr sein Mut, mit
dem er seine Erkenntnis auf den Markt gebracht hatte. Wahrscheinlich
hielten noch heute viele Menschen das, was er behauptete, für
Blasphemie.
    »Caroline, das musst du hören. Das ist radikal.«
    In ihrer Erregung duzte sie die Freundin zum ersten Mal.
    »Umschnüren wir einen Arm mit einer Bandage, so wird klar,
dass es einen Übergang des Blutes von den Arterien in die Venen gibt.
Hieraus können wir schließen, dass der Schlag des Herzens …«
    Die Markgräfin verstummte für einen Moment verzückt und fuhr
dann triumphierend fort:
    »… eine fortgesetzte Kreisbewegung des Blutes
bewirkt.«
    Bis zum Abend hatte Friederike Harveys gesamtes Traktat
gelesen, seine Argumente und Schlussfolgerungen verinnerlicht. Er hatte
Blutmengen mathematisch berechnet und die Strömungsgeschwindigkeit des
Blutes gemessen. Wenn derselbe Vorrat permanent zirkulierte, so konnten
größere Mengen in kurzer Zeit nicht immer wieder nachproduziert werden,
das leuchtete ihr ein.
    »Wozu also Aderlass? Das ist dann doch Quacksalberei, reiner
Unsinn.«
    Caroline nickte.
    Friederike war so erregt, dass sie aus dem Sessel hochschoss
und rief: »Kein Wunder, dass immer wieder jemand daran stirbt. Das Blut
reicht einfach nicht mehr zur Versorgung der Organe, wenn zu viel
herausgelassen wird. Das muss man verbieten lassen, und zwar sofort!«
    Es dauerte lange, bis sie sich wieder gefasst hatte.
    Die zweite, für sie noch weiter reichende
Erkenntnis kam langsamer und erst am Nachmittag. So wie ein beiläufiger
Besuch, ganz ohne Zeremoniell.
    »Caroline, warum glauben Sie, dass ich Harvey, obwohl er
ziemlich kompliziert schreibt, gleich verstanden habe?« Friederikes
Frage hatte einen listigen Unterton.
    Caroline ging darauf ein.
    »Weil Ihre Königliche Hoheit Ihren Hofdamen den Spaß verderben
will, denn die lassen sich ja, wie wir alle wissen, so gern zur Ader,
damit sie mal wieder von einem Mannsbild berührt werden, auch wenn es
nur ein Arzt ist.«
    Friederike begann zu kichern, überschwänglich, hemmungslos,
bis sie schließlich vom Sessel kugelte und japsend am Boden

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