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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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daraufhin
für ihn das neumodische Wort ›Genie‹.
    Mit derselben Post, mit der der König ihr
durch einen Sekretär seinen Triumph melden ließ, traf auch ein
belangloser Brief ihres Bruders Heinrich ein. Am Schluss schon, ganz
verschämt an den Rand gekritzelt, schrieb er:
    Über Freunde in Paris, die ich Ihnen aber
verheimlichen muss, habe ich erfahren, dass ein gewisser Schweizer
Professor Albrecht von Haller, der in Göttingen Anatomie, Chirurgie und
Botanik lehrt, an der wissenschaftlichen Schrift Primae
lineae physiologiae arbeitet. Die
gelehrte Welt, so teilte man mir mit, spricht von einer Sensation.
Würde Sie das interessieren?
    Und ob sie das interessierte, aber für eine solche Anschaffung
würde Friederike jetzt kein Geld mehr haben.
    Noch am Nachmittag ereignete sich die
nächste Ungeheuerlichkeit in diesem Jahr. Aufgewühlt, wie sie durch
Heinrichs Nachricht war, streifte sie querfeldein. Weniger als sonst
achtete sie auf die Zeit. Irgendwann begann der Spaniel zu hecheln.
Zuerst setzte sie sich nur hin. Mit einem Mal lag sie. Sie hätte
hinterher schwören können, dass sie es nicht willentlich getan hatte.
Durch ihren Schnürleib und das Gestänge ihres Reifrocks hindurch spürte
sie im Rücken Steine und Wurzelstöcke. Ein leuchtend grüner Käfer
verirrte sich auf ihrem Bauch. Zunächst hielt sie ihren Sonnenschirm
noch steil über sich, bald aber tat ihr der Arm weh und knickte ein.
Der Schirm landete, aufgespannt wie er war, bei ihren Füßen; der
Spaniel rollte sich an ihrer Hüfte zusammen. Unter ihren Handflächen
kitzelte Gras, und ihre Fingerkuppen bohrten sich neugierig bis zu den
Erdkrumen durch. Die Junisonne leckte ihr so ungestüm über das Gesicht
wie sonst nur ihr Lieblingshund. Sie hielt für ein paar Herzschläge die
Luft an. Dann ließ sie es zu. Hatte sie in diesem Jahr nicht schon
anderes riskiert? Wenn sie die kalten Bäder überstanden hatte, die ihr
im Gegenteil so gut bekamen, dann konnte sie vielleicht auch ein paar
Minuten Sonne ausprobieren.
    Einen ganzen Nachmittag lag Friederike Louise, Markgräfin von
Ansbach, lang ausgestreckt mit geschlossenen Augen auf einer kleinen
Waldwiese. Lila Akeleien verfingen sich in ihrer Perücke, Sonnenkringel
und Wolkenschatten wanderten über ihr Gesicht, das Zirpen der Grillen
mischte sich in ihre Gedanken. Die Burschen aus dem Dorf, die ihr wie
immer heimlich gefolgt waren, schissen sich vor Sorge fast in die
Hosen. Noch nie hatten sie eine Person von Stand, noch dazu eine
Königliche Hoheit erlebt, die sich der Sonne aussetzte. Dazu war sie ja
auch noch eine Frau. Das war in höchstem Maß sonderbar. Martin
Schuhbauer murmelte, man müsse jetzt dringend den Pfarrer holen. Sein
Vetter Simon Altmann aber zischte zurück: »Willst du, dass man sie
abholt und wegen Irrsinn wegsperrt?«
    Sie ließen sie also liegen.
    Friederike schlief, obwohl sie müde war, nicht ein. Sie hatte
nur das Gefühl, sich aufzulösen. Sie spürte den Rand und die Hüllen
ihres Körpers nicht mehr. Sie wurde flüssig. Eine flüssige Prinzessin
von Preußen, gab es so etwas? Nein, die Frage lautete anders,
korrigierte sie sich: Durfte es so etwas geben? Gab es ein Recht auf
ein Ich? Denn wenn es das gab, dann konnte sich dieses Ich auch
vernebeln, verflüssigen und je nach Bedarf der Sonne aussetzen. Auch
wenn das vielleicht gefährlich, schädlich oder gar unvernünftig war.
Wer war der Herr der Ichs? Gott, Preußen, Ansbach? Oder nur das Ich
selbst? War Robinson Crusoe auch flüssig geworden? Was aber, wenn jeder
Untertan, jeder Bauer, jeder Jude, jeder Krämer das Recht auf ein Ich
haben wollte?
    Erst eine Hummel, die dunkel brummte und mit ihrem Pelz
Friederikes Wange streichelte, holte sie in die Wirklichkeit zurück.
Sie gab dem Spaniel einen Klaps, und sie brachen auf. Martin Schuhbauer
und Simon Altmann dankten Gott.
    Caroline allerdings war bei Friederikes Rückkehr außer sich.
    »Haben Sie denn überhaupt nicht an Ihre Schönheit, Ihren Teint
gedacht? Ruiniert bis auf Wochen hinaus ist der jetzt, und Sie sind rot
und braun wie eine Bäuerin«, schimpfte sie.
    Bei einem ihrer nächsten Bäder fiel
Friederike eine Anzahl von Flöhen auf, die an der Wasseroberfläche
trieb. Sie waren tot. Jedenfalls krabbelten sie nicht mehr, wenn man
sie auf den Finger nahm.
    »Haben Sie diesen Sommer auch weniger?«, fragte sie Caroline.
    »Nein, warum?«, antwortete ihre Freundin und kratzte sich
gleich kräftig unter der rechten Achsel.
    »Weil ich das Gefühl

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