Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
sich den Sturm zu besänftigen, den er heraufbeschworen hatte. Alduin trieb den Falken zu einem neuen Angriff an. Obwohl er dem seltsamen Lichtschimmer misstraute, griff er dieses Mal offen von vorn an. Malnar war gezwungen die Arme hochzureißen, um sein Gesicht vor den scharfen Krallen zu schützen, versuchte aber gleichzeitig den stürmisch tosenden Wind zu beschwören. Das kleine Boot bockte auf den Wellen wie ein ungezähmter Hengst.
Kirstie, die sich auf dem Boden zusammenkauerte, wagte kaum den Kopf zu heben und den dramatischen Kampf zu beobachten. Die Lage war hoffnungslos; sie konnte nur noch um ein Wunder beten. Rihscha hatte sich ein Stück weit zurückgezogen, um sich wieder zu fassen. Malnar nutzte die kurze Atempause und setzte sein neu erlerntes magisches Wissen ein, um Blitze auf den Falken zu lenken. Manche rief er direkt aus den Wolken herab, andere entlockte er dem Lichtschimmer, der sich um seinen hageren Körper wand wie die Arme eines Kraken. Nur mit knapper Not gelang es Rihscha, den Blitzen auszuweichen, die sein Gefieder zu versengen drohten. Erinnerungen an Feuer blitzten durch Alduins Geist und die tiefe Sorge um das Überleben seines Falken drängten in seine Gedanken. In Malnars Gesicht spiegelte sich Schadenfreude, als er wieder die Oberhand zu gewinnen schien. Doch kurz darauf kam die Verwirrung: Der Falke wollte nicht aufgeben. Erneut griff er den Onur an, schoss erst von der einen Seite dicht am Mast vorbei heran, dann von der anderen, als sei er gefeit gegen den geballten Zorn und die Kraft von Blitzen und dunkler Magie.
Die Wut des Onur stieg ins Grenzenlose. Er hatte hinter Mast und Segel Deckung gesucht; jetzt sprang er hervor, um besser rundum blicken zu können. Doch dabei verfing sich sein weiter Umhang im Ruder und riss ihn zur Seite. Durch die unfreiwillige Wende verlor Malnar das Gleichgewicht und stürzte kopfüber in die eiskalte Tiefe. Spuckend und verzweifelt um sich schlagend, tauchte er noch einmal kurz auf, versuchte sich trotz der tosenden Wellen an der schlüpfrigen Bordwand festzuklammern, doch sein schwerer Umhang sog sich mit Wasser voll, zog ihn nach unten und der Schwarze Ozean schloss sich über ihm.
Unmittelbar danach erlosch das schimmernde Licht. Die Sturmwolken lösten sich auf. Der Wind flaute ab. Totenstille senkte sich über das Meer.
Kirstie rappelte sich auf und blickte über die Bordwand, als Rihscha wie ein Stein vom Himmel stürzte. Von einem tiefen, inneren Instinkt geleitet warf sich die Nebelsängerin nach vorn und fing den Falken gerade noch rechzeitig auf. Beide fielen zusammen auf die Planken und verloren das Bewusstsein.
Sivella stolzierte zur Belustigung der Fischer auf dem Kabinendach hin und her, als Rael ihr Alduins Botschaft überbrachte. Ohne einen Augenblick zu zögern, schwang sie sich in die Lüfte und flog eilig davon.
»Ahoi!«, schrie ihr der Kapitän nach. »Wohin so eilig?«
»Hat der Falkner nicht gesagt, wir sollen ihr folgen, wenn sie davonfliegt?«, fragte einer der Fischer.
»Hast wohl Recht. Holt die Segel dicht, vielleicht wird unser Kahn dann schneller. Wahrscheinlich haben sie das Boot entdeckt.«
»Fliegt der Falke einen anderen Kurs?«
»Drei, vier Grad weiter westlich - nicht viel, könnte aber was ausmachen.«
Ein paar Augenblicke, nachdem das Fischerboot seinen Kurs angepasst hatte, landete Sivella wieder auf dem Kabinendach. Sie plusterte kurz ihr Gefieder auf, schlug aufgeregt mit den Flügeln, nickte ein paar Mal und flog wieder davon.
»Holla ...«, rief der Kapitän und kratzte sich unter der Mütze, »man könnte fast glauben, sie will uns sagen, dass der Kurs stimmt!« Ein Ausdruck von Zufriedenheit legte sich auf sein vom Wetter gegerbtes Gesicht.
Und so schien es tatsächlich zu sein. Sivella kehrte nach kurzen Flügen immer wieder zurück, fing die Wurstbrocken auf, die ihr die Matrosen zuwarfen, sammelte neue Kräfte und stieg wieder in die Luft. Sie flog immer in dieselbe Richtung. Und unermüdlich schwamm der Cirlim neben dem Schiff her.
Erilea und Rael saßen schweigend beieinander und hielten über Alduin Wache. Sie hatten beobachtet, wie sich sein Körper immer mehr anspannte, wie ihm der Schweiß über das Gesicht lief; sie sahen seine Hände, die wild über den Felsen tasteten, auf dem er saß, als suche er nach einem letzten Rettungsanker, um sich daran festzuklammern; sie sahen die Spuren der Erschöpfung auf seinem Gesicht, wie von unsichtbaren Federkielen
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