Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
durch seinen Kopf. Nein! Er würde sich jetzt nicht ablenken lassen. Er musste weiter nach Süden!
Unerbittlich sank die Sonne dem Horizont entgegen, doch würde es noch eine Weile dauern, bis sie unterging. Rihscha flog unermüdlich weiter und Alduin mit ihm. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren. Sein Herz schlug im Rhythmus mit dem des Falken wie eine gleichmäßige, ruhige Melodie des Blutes, eine Melodie, die sie verband. Je länger Alduin mit Rihscha verbunden blieb, desto mehr schienen sie zu einem einzigen Wesen zu verschmelzen. Die Aufregung des Fliegens hielt ihn gefangen - das erhabene Gefühl von Freiheit, die unbändige Freude des Seins. Doch immer deutlicher spürte er die Müdigkeit. Sie schlich heran wie eine Arekkatze auf Jagd, die geduldig auf den richtigen Augenblick wartete, um der Beute den tödlichen Hieb zu versetzen. Der Falke und sein Gefährte schoben den Gedanken beiseite und konzentrierten sich auf die Wellen, die unter ihnen hinwegrauschten. Wenig später drohte der Hunger Rihscha abzulenken. Er hatte zwar Beute gemacht, aber das Sättigungsgefühl war längst verflogen; der Falke hatte zu viel Energie verbraucht. Er spürte, dass seine Flügel einen Augenblick lang kraftlos herabsanken, dennoch flog er beharrlich weiter. Er hatte das Schiff noch nicht einmal ausfindig gemacht - ausgeschlossen, jetzt schon aufzugeben. Und weiter flog er. Jeder Flügelschlag zehrte weiter an den Kräften; sein Herzschlag hallte durch den Körper wie das Dröhnen einer von starker Hand geschlagenen Todestrommel. Irgendwo in der Ferne hörte er seinen Namen rufen, doch es war viel zu weit weg, als dass er ihm Beachtung hätte schenken können. Nur noch Entschlossenheit und pure Willenskraft hielten ihn in der Luft, doch jeden Augenblick drohten sie zu versiegen.
Seine überanstrengten Augen erspähten plötzlich eine Bewegung auf der Wasserfläche: ein einsamer Cirlim. Seine Rückenflosse brach kurz durch die Wellen, verschwand wieder - und dann stieg der Fisch aus dem Meer und wirbelte in einem großen Bogen durch die Luft. Er rief Rihscha: ein Ruf, der seltsamerweise wie eine Einladung klang. Dann zog er in südwestlicher Richtung davon und der Falke, der vor Erschöpfung weder ein noch aus wusste, folgte ihm instinktiv.
Kurz darauf spülte die Erleichterung durch Rihschas und Alduins Körper. Nicht weit entfernt ragte ein dunkler, zackiger Felsen aus dem Wellengekräusel - nur eine Handbreit über dem Wasser und so klein, dass kaum einer daraufhätte liegen können. Doch für Rihscha reichte die winzige Insel vollkommen aus. Er bremste mit dem Schwanz und landete auf dem Felsen, ein unsicheres, schwaches Bündel aus Federn und zitternden Muskeln. Er wartete, bis sich sein Herzschlag wieder verlangsamte und er erneut Kraft in sich spürte; dann blickte er sich nach seinem Retter um. Zuerst ließ er sich nicht sehen, doch dann durchschnitt er das Wasser und warf Rihscha zu Alduins maßloser Überraschung einen Fisch zu. Der Fisch landete genau vor Rihschas Klauen, wölbte sich und zappelte und versuchte verzweifelt zu entkommen. Mit dem Schwanz wedelnd, stand der Cirlim aufrecht und mit stolzem Lachen schien er den Falken zu ermutigen den Fisch zu fressen.
Friss!, raunte Alduin in Rihschas Bewusstsein. Der Fisch wird dich schon nicht umbringen. Aber er kann dich retten.
Auf dem Aussichtsfelsen ließ sich Alduin erschöpft zurückfallen. Im selben Augenblick kam Erilea mit warmen Decken, Essen und Getränken zurück. Sie setzte sich neben ihn, zog seinen Kopf zu sich und bettete ihn in ihren Schoß. Flatternd öffneten sich seine Augenlider und er brachte ein schiefes Grinsen zu Stande.
»Alduin, du bist so grau wie eine Sturmwolke!«, stieß Erilea entsetzt aus. »Was hast du gemacht? Erzähl mir bloß nicht, dass du die ganze Zeit mit Rihscha geflogen bist?«
Rael öffnete die Augen; er konnte sich über Alduins Sturheit nur wundern. »Natürlich ist er das. Er war so abwesend, dass er mich nicht einmal mehr rufen gehört hat. Irgendwann hab ich dann aufgegeben.«
»Ich kann Rihscha nicht dort draußen allein lassen, er braucht jetzt meine Unterstützung. Er muss wissen, dass ich bei ihm bin«, sagte Alduin, richtete sich auf und warf seinen Freunden einen verständnissuchenden Blick zu.
»Wo ist Rihscha jetzt?«, flüsterte Erilea, obwohl sie kaum zu fragen wagte. »Hat er das Boot entdeckt?«
Alduin lächelte müde. »Nein, noch nicht ... Aber er hat ganz ungewöhnliche Hilfe bekommen ...
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