Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
sein?«, wollte Alduin wissen. »Da gab es unbeschreibliche Momente, in denen ich mit Cal und Krath verbunden war, es war wie ... wie irgendwo jenseits dieser Welt ...«
Plötzlich fielen ihm Bardelphs Worte ein, als sie das letzte Mal miteinander gesprochen hatten.
»Meine Mutter«, murmelte er, als spräche er zu sich selbst. »Sie hatte eine Vorahnung, sagte etwas darüber, dass Rihscha und ich ... über diese Welt hinausfliegen würden ... Bardelph hat es mir erzählt.«
Wieder überkam Erilea die Angst, Alduin zu verlieren, aber sie wusste, dass es nichts gab, den Lauf der Dinge zu verändern. Es schien eine unkontrollierbare Macht in Gang gesetzt. All die kleinen Vorfälle am Rande ihres Weges bekamen plötzlich eine Bedeutung: die Begegnung mit Wendle, die Zeit in der Hütte, sogar der Diebstahl Rihschas. Es war, als hätten die Ereignisse den Weg für etwas Unvorstellbares, für etwas Unfassbares eröffnet, etwas, von dem sie ausgeschlossen war.
Der Pfad führte sie lange Zeit den Fluss entlang. Manchmal schlängelte er sich durch spärliche Baumgruppen, sodass sie nur traben konnten. Dann wieder galoppierten sie über den harten Boden einer dürren, steinigen Landschaft. Genau wie Alduin es in seiner Vision gesehen hatte, schlängelte sich der Fluss durch Schluchten und Ebenen, reißend und kraftvoll, und glitzerte, als die Sonne schließlich hinter ihnen versank. Sie erreichten eine Stelle, an der sich der Pfad verlor, fast so als hätten sie das Ende der Welt erreicht. Doch der Fluss kam immer noch aus dem Osten und führte Geröll und Treibholz mit sich. Er schien, als würde er zu dem Geheimnis führen, das vor ihnen lag. Was auch immer kommen würde, sie würden den Weg bis zum Ende gehen.
Nach einer ungemütlichen Nacht, die sie im Schutz eines vom Wind gekrümmten Purkabaumes verbrachten, setzten Alduin und Erilea die Reise bei Sonnenaufgang fort. Beide waren gedankenverloren und wechselten nur wenige Worte. Alduin nahm immer wieder für kurze Momente Verbindung mit Rihscha auf, während der Falke bald nah, bald fern am Himmel kreiste. Er schien nach den langen Stunden der Gefangenschaft unter der dunklen Haube begierig die Freiheit des Fluges voll auszukosten.
In Alduin machte sich ein Gefühl von Ehrfurcht und erwartungsvoller Hoffnung breit, und er war offen für das, was ihm begegnen würde. Erilea hingegen war beklommen zumute.
Die Landschaft hatte sich verändert. An der gegenüberliegenden Uferseite erstreckte sich der dichte Wald, und vor ihnen breitete sich eine Graslandschaft aus. Auch wenn die offene Ebene viel eher zum Verweilen einlud, trieb Alduin Fea Lome unerbittlich an. Nach vielen Wegstunden zeichneten sich flussaufwärts schimmernd die fernen Hügel ab. Alduins Herz schlug schneller. Dort war es! Dort würden sich die Flüsse vereinigen.
»Es ist nicht mehr weit!«, rief er. Er war außerstande, seine Aufregung zu unterdrücken, und bemerkte gar nicht, wie gedrückt Erileas Stimmung war. »Die Umgebung ist so wunderschön«, fuhr er fort. »Wundert es dich gar nicht, dass sich hier nie jemand angesiedelt hat?«
»Dieser Ort ist entsetzlich weit abgeschieden«, gab Erilea zurück. »Außerdem ...« Sie sah sich um. »Es fühlt sich alles so wild und unbändig an. Es ist fast, als wären wir die ersten Menschen, die hier entlangkommen.«
»Ich weiß, was du meinst, und dennoch ...«
»... und dennoch ist dem nicht so, wenn du recht hast.«
Alduin stutzte.
»Was ist denn los, Erilea?«
Sie antwortete nicht gleich, und als sie schließlich sprechen wollte, fielen ihr die Worte schwer.
»Ich ... ich weiß es wirklich nicht«, setzte sie an. »Ich habe immer noch dieses ungute Gefühl. Es ist, als ob ich mich für einen Weg entschieden habe, den ich lieber nicht hätte einschlagen sollen. Es ist, als ob sich innerlich etwas gegen mich wehrt... oder versucht, mich fernzuhalten ...«
»Wie kann das sein?«, fragte Alduin. »Ich spüre gar nichts in dieser Art. Vielmehr fühle ich mich angezogen - eingeladen voller Hoffnung. Ich kann es nicht erklären. Aber Rihscha spürt es auch.«
Erilea schüttelte den Kopf und starrte geradeaus. »Egal«, sagte sie entschlossen. »Ich gehe weiter. Schließlich habe ich einen eigenen Willen. Ich allein entscheide, wann und wohin ich gehe.«
Die Graslandschaft endete und ging in eine felsige Hügellandschaft über. Der Fluss hatte eine Schlucht in den Felsen geschnitten, und Fea Lomes Hufe fanden einen natürlichen Pfad
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